Arbeitswoche Digitalisierung

Werkstatt Kaminraum - Foto: molo

Werkstatt Kaminraum – Foto: molo

Auf der Waldeck hatten sich in der Woche vor Weihnachten 2006 keine Gäste eingebucht. Und so war Platz, um im Kaminraum ein Video-Studio mit PCs, Notebooks, TV-Schirmen, Druckern, externen Speichern und Bergen von Video- und DVD-Kassetten aufzubauen. Der altehrwürdige Beamer der Waldeck konnte allerdings nicht mehr in Gang gebracht werden.

Anlass für den Technik-Aufmarsch war der von der Peter Rohland Stiftung initiierte Workshop zur Sichtung und Digitalisierung von Videofilmen, die Archivar Peer über die Jahre im Archiv beschafft, bewahrt und gegen manche Zugriffswünsche verteidigt hatte.

Das Archiv-Team um Peer mit Hathy und Sken hatte in einer Liste von 76 Filmen einen Überblick über die Schätze des Archivs zusammengestellt. Das fängt an mit historisch interessanten Filmen des Nerother Wandervogel aus den Jahren ab 1930, die Kameramann Karl Mohri auf Fahrten zum Balkan, nach Afrika, Südamerika und nach Asien drehte. Filme, die dann zum Teil an die Filmfirma Ufa verkauft werden konnten und in den Kinos als „Kulturfilme“ im Vorspann zu Spielfilmen liefen. Zum Teil wurde das Bildmaterial von den Nazis mit neuem Ton zu Propaganda-Filmen verarbeitet, etwa „Deutsches Land in Afrika“. Dieser Film diente im Dritten Reich der Propaganda zur Rückgewinnung der früheren deutschen Kolonien.

Auch aus der Nachkriegszeit sind Filme von Karl Mohri erhalten, etwa über die Frankreichfahrt von Schwäbischer Jungenschaft und Pfadfindern um Rudi Rogoll 1952, über die erste jungenschaftlichen Griechenlandfahrt 1953, mit ähnlichen Aufnahmen von den Meteoraklöstern, wie sie von Mohri schon im Film von 1930 gedreht wurden. Auch der Film über die Spielfahrt der „Jungenschaft der Burg“ von 1958 ist darunter. Ebenso zwei schöne Filme von Großfahrten des Panduren-Ordens 1961 und 1963 nach Mazedonien und Griechenland.

Weitere Schwerpunkte der Filmsammlung sind Streifen aus der Festival-Zeit der Sechzigerjahre und aus der Zeit der Theater-Aktivitäten von Hotte in den Achtzigern des vorigen Jahrhunderts.

Die Filme sind wichtige Bausteine zur Dokumentation der Waldeck-Geschichte, die inzwischen als Teil der neueren Zeit- und Kulturgeschichte anerkannt ist. Peer registriert dies immer wieder, wenn bei ihm von Funkhäusern und Universitäten nach Aussagen und Dokumenten, insbesondere auch nach Filmmaterial für zeitgeschichtliche TV-Dokumentationen gefahndet wird.

Die Umsetzung der bislang auf Video-Kassetten gesammelten Filme auf digitale Datenträger ist dringend, da die analogen Band-Kassetten durch Zeitablauf leiden und am Ende unbrauchbar werden. Auch eine Weiterverwertung, z.B. von Ausschnitten für Info-Filme über die Waldeck ist nur auf Basis von digitalisiertem Material vernünftig machbar.

Eine Vergabe der Aufgabe an externe Dienstleister ist nicht sinnvoll und auch nicht machbar, da die Filme bei der Umsetzung nicht nur technisch, sondern auch inhaltlich zu überprüfen sind, z.B. auf Doppel und Überschneidungen. Außerdem wäre eine externe Vergabe nicht bezahlbar.

Dabei erfordert die Arbeit nicht nur Zeit und Geduld, sondern auch erhebliche Kenntnisse und Erfahrung. Die digitale Video-Welt ist differenzierter und vielseitiger als digitales Fotografieren.

Voraussetzung für den Workshop war ein erstes Treffen an Ostern 2006, auf dem unser Experte Marcin ein durchdachtes mehrstufiges Speicherkonzept für die digitale Video-Zukunft vorstellte. Und vor Weihnachten brachten dann aus dem fernen München Margarete und Carsten außer vielfältiger Ausrüstung Kenntnisse, Erfahrung und großes Engagement in die praktische Arbeit ein. Das neue ABW-Mitglied Fram sowie Hotte gesellten sich ebenso engagiert dazu.

Nach etwas zögerlichem Anlauf wurde es eine sehr intensive und produktive Woche. Zentrales Ereignis jeden Tages war das schmackhaft-opulente Mittagessen, das Dido für Haus- und Filmteam auf den Tisch brachte.

Am Ende des Workshops waren 86 Filme gelistet. (Manche von ihnen sind doppelt oder dreifach da. Es müssen noch die besten Kopien lokalisiert werden.) Davon sind nun 53 Filme auf Festplatten digitalisiert, und 39 sind überdies auf DVDs gebrannt und beschriftet.

Für einige notwendige Beschaffungen, die dringendsten Reisekosten sowie Unterkunft und Verpflegung fielen Kosten von rd. 980 € an, die aus Mitteln der Peter Rohland Stiftung beglichen werden konnten.

Ein Anfang ist gemacht. Die Arbeit muss unbedingt weitergehen, um das wertvolle und interessante filmische Waldeck-Erbe zu sichern. Es ist beeindruckend, wie stark Aufnahmen aus den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, also von Ereignissen, an die viele noch persönliche Erinnerungen haben, bereits historische Qualität erreichen. Etliche der Akteure leben nicht mehr. Ihre Berichte und Erzählungen wirken umso mehr.

Es wäre gut, wenn das nunmehr eingespielte Digitalisierungs-Team, ggf. ergänzt um weitere Freiwillige, sich auch weiterhin zusammenfinden könnte.

Die historischen Bilder zeigen, wie rasch Gegenwart in die Vergangenheit wandert und Filme als Stütze der Erinnerung an Gewicht gewinnen. Deshalb sollte über aller Pflege der alten Bestände die aktuelle Dokumentation nicht vergessen werden. Zum Schluss sei an das Projekt „Vorsicht Kamera!“ erinnert, zu dem Annika in Köpfchen 2/06 aufgerufen hat. Die Peter Rohland Stiftung hat auch dazu einen finanziellen Beitrag geleistet. Ideen und Konzepte und die immer wieder mühsame Umsetzung durch Arbeit mit der Kamera und anschließende Weiterverarbeitung müssen aber von anderer, möglichst jüngerer Seite kommen.

molo

(aus: KÖPFCHEN 4/2006, Seite 19)