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Max Nyffeler: Peter Rohland, Pionier des neuen deutschen Chansons

Aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. April 1978


Pionier des neuen deutschen Chansons

Das Gesamtwerk des Liedermachers Peter Rohland

Bei der Vielfalt der bundesdeutschen Liedermacher-Szene vergißt man leicht, daß ihre Anfänge noch gar nicht so lange zurückliegen. Erst vor etwa anderthalb Jahrzehnten bildete sich aus verschiedenen Ansätzen – den Ostermärschen, den Überresten der nichtdeutschnationalen Wandervogelgruppen, dem angloamerikanischen Folksong und dem französischen Chanson – jene Vokalgattung heraus, die heute als neues deutsches Chanson oder Volkslied bezeichnet wird. Kristallisationspunkt aller damaligen Bemühungen um ein von Blut-und-Boden-Mystik freies Volksliedverständnis war von 1964 an die Burg Waldeck im Hunsrück mit ihren alljährlichen Festivals „Chanson Folklore International“. Alle Liedermacher in der Bundesrepublik, die es seither zu Rang und Namen gebracht haben – vor welchem Publikum und mit welcher politischer Ausrichtung auch immer -, standen irgend einmal auf der Freilichtbühne der Waldeck.

Zu den großen Anregern und Vorbildern dieser Sänger-Generation gehörte der 1966 im Alter von erst 33 Jahren verstorbene Peter Rohland. Geboren in Berlin, verbrachte er seine Kindheit in Breslau und Stuttgart, kam nach dem Krieg in Kontakt mit der „Schwäbischen Jungenschaft“, trampte schon während der Schulzeit durch halb Europa und nach dem Abitur, um der Einberufung in die Bundeswehr zu entgehen, bis nach Bagdad. An die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft konnte er sich nicht anpassen; ein Jurastudium gab er auf und lernte stattdessen die Lieder von Landstreichern und Vagabunden, die er auf der Landstraße kennengelernt hatte. Später, als er entschlossen war, Sänger zu werden, veröffentlichte er sie auf Schallplatte bei Polydor unter dem Titel „Landstreicherballaden“ – in perfektem Rotwelsch. Zusammen mit den Pirmasenser Zwillingsbrüdern Hein und Oss Kröher gehört er zu den Mitbegründern des Waldeck-Festivals. Als Volksliedsammler, Sänger und Komponist trat er erst in den letzten drei Lebensjahren öffentlich in Erscheinung. In dieser kurzen Zeit, so wissen Eingeweihte zu berichten, bereicherte er das deutsche Chanson und die Folklore mehr als jeder andere. Über den engeren Kreis von Freunden und Interessierten hinaus wurden aber seine Lieder bisher kaum bekannt.

Mit der fünf LPs umfassenden Veröffentlichung seines Gesamtwerks wurde hier nun eine Informationslücke geschlossen. Erstmals ist damit die Arbeit dieses Pioniers des neuen deutschen Chansons umfassend dokumentiert. Für die verdienstvolle und kaufmännisch mutige Tat ist die Firma Thorofon verantwortlich, die bereits 1964 unter dem Titel „Vertäut am Abendstern“ die erste Single von Rohland veröffentlichte.

Die Aufnahmen sind in fünf große Sachgebiete eingeteilt, entsprechend den thematischen Schwerpunkten von Rohlands Tätigkeit: Lieder deutscher Demokraten, Lieder des Francois Villon, Jiddische Lieder, Landstreicherballaden und „Lieder von anderstwo“. Als erstes abendfüllendes Programm trug Rohland 1963 seine jiddischen Lieder zu Gitarren- und Violinenbegleitung vor. Zuvor hatte er sich über ein Jahr lang mit Sprache, Literatur und Geschichte der Ostjuden befaßt. Das nun auf Platte veröffentlichte Resultat seiner Arbeit sind zwei Dutzend Interpretationen mit einem hohen Grad an Authentizität in Deklamation und Ausdruck. Es sind fast alles traditionelle Volkslieder der Ostjuden, dazu kommen drei Beispiele aus unserem Jahrhundert: ein Lied des Dichters Itzik Manger, ein antifaschistisches Partisanenlied von Hirsh Glik und der Klagegesang „s brent, briderlech, s brent“, geschrieben vom Volksschriftsteller Mordechaj Gebirtig, der 1942 im Krakauer Getto von den Nazis ermordet wurde.

Eine ebenso bruchlose Verbindung von historischen Studien und praktisch-künstlerischer Tätigkeit glückte Rohland in seinen „Liedern deutscher Demokraten“. Vor ihm wußte in der Bundesrepublik kaum jemand von der demokratischen Liedkultur im Umfeld der Revolution von 1848. In seinen Aufnahmen begegnet man dem anonymen „Bürgerlied“ zur Melodie von „Prinz Eugen“ und dem antiroyalistischen Flugblatt-Pamphlet ebenso wie Texten von Hoffmann von Fallersleben, Herwegh, Freiligrath, Glaßbrenner und, in konsequenter Weiterführung der Tradition, dem „Moorsoldaten-Lied“ aus dem KZ Börgermoor. Rohland leistete damit bereits 1964, was zehn Jahre später Bundespräsident Heinemann von der deutschen Schuljugend forderte: die Aufarbeitung der Tradition der deutschen Freiheitsbewegungen. 1966 umriß Rohland sein Volkslied-Verständnis: „Es ist an der Zeit, neben den Liedern von Schwartenhälsen, der armen Jüdin und dem Deserteur auch die Lieder der Revolution von 1848, der Arbeiterkämpfe und die Lieder aus den Konzentrationslagern mit dem Begriff ,Deutsches Volkslied‘ zu verbinden. Wir müssen diesen Begriff endlich berichtigen. Deutsche Volkslieder haben weder mit ,Volksseele‘ noch mit ,ewigen Werten‘ etwas zu tun. Es sind einfach Lieder, die den ganzen Aspekt menschlichen Lebens umfassen, von der äußersten Sentimentalität bis zur harten oder derben Darstellung.“

Die Melodien der Villon-Lieder (in der Übersetzung von Paul Zech) stammen größenteils von Rohland; einige schrieb Hanno Botsch, der Geiger bei den jiddischen Gesängen, einige Schobert Schulz, der Rohland in den Landstreicherballaden auf der Harmonika begleitet. Rohland singt vereinzelt im Duo, sonst immer solistisch – mit einem vollen, weich timbrierten Baß, der ein erstaunliches Spektrum an Ausdrucksnuancen und Zwischenwerten aufweist. Eine ausführliche Dokumentation über den Sänger und die Lieder ist der Kassette beigegeben.

MAX NYFFELER