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Stephan Rögner: in memoriam Peter Rohland

Aus: FOLKbuch 6, Peter Rohland 1933~1966, Edition Venceremos, 1976. (Scan als PDF-Download)


in memoriam Peter Rohland

Im Alter von 32 Jahren starb 1966 Peter Rohland, ein von Sammlerleidenschaft geprägtes Folkloretalent, ein junger Mensch, der dem Volkslied ein progressiver, ja avantgardistischer Wegbereiter war. Fünf Jahre nach seinem Tode veröffentlichte die „Edition Peter Rohland“ aus seinem Nachlaß eine Serie von vier Langspielplatten mit einem umfassenden Überblick über die Interpretationen des Barden, denn zu seinen Lebzeiten hatte Rohland nur einen kleinen Teil seines Repertoires auf Schallplatten publiziert.

Rohlands bahnbrechenden Leistungen auf dem Gebiet des Chansons und der Folklore waren in jenem Frühjahr 1966 über den engeren Kreis der Interessierten hinaus noch kaum bekannt geworden. Trotzdem war seine Arbeit schon damals nicht wirkungslos geblieben. Er war Mitbegründer des Festivals „Chanson Folklore international“ auf der Burg Waldeck im Hunsrück, das zur repräsentativen deutschen Chanson- und Folklore-Veranstaltung der ausgehenden 60er geworden ist. Peter Rohland hatte dort ein kritisches Publikum davon überzeugt, daß es auch nach dem „tausendjährigen“ Mißbrauch des Volksliedes noch Möglichkeiten des deutschen Liedes gibt; und er zeigte, daß Chanson und Folksong in Deutschland mehr sein können als das bloße Nachahmen der kommerziellen Chansons, Folksongs und Protestlieder.

Blättert man in der – leider nur sporadisch vertretenen – Literatur der Lieder, die das Volk wirklich singt (nicht der sogenannten Volksliedersammler), so findet man heute häufig den Namen Peter Rohland, der beispielhaft „der deutschen Volkslied-Tradition neue Aspekte“ abgewann, sie „aus ihrer romantischen Vertäuung“ löste und ihr jene Lieder zurückgab, die eben das Volk sang.

Peter Rohland, 1933 in Berlin geboren, starb zu früh an einer rätselhaften Gehirnerkrankung. Als er 1966 mitten aus der Beschäftigung mit dieser Literatur gerissen wurde, hatte er eben begonnen, das politische deutsche Lied aus dem Vormärz 1848 in der Bundesrepublik zum ersten Mal öffentlich selbst zu singen. An seinem Grabe aber sang Colin Wilkie.

Ein doppeltes „Erbe“ seines Vaters trat Peter Rohland an – er studierte Jura, brach ab wie jener, und wurde Sänger – Rohlands Vater sang an italienischen Opern. Reisen in den Vorderen Orient bildeten mit die Voraussetzungen für sein späteres folkloristisches Engagement. Mit reflektierendem Einfühlungsvermögen und einem seltenen Fleiß erarbeitete sich Rohland ein fundiertes Wissen über historische und soziale Hintergründe der Lieder und setzte die Stimmbildung, die er bei seinem Vater genossen hatte, fort. Der geistreiche Berliner Cabaret-Conferencier Willi Schaefers ermöglichte ihm den Start zum Theater der literarischen Kleinkunst, und eine gewisse geistige Verwandtschaft zwischen dem direkten Stil der Bissigkeit Schaefers und der realen sozialen Einstellung Rohlands mag dieses gewiß väterliche Verhältnis begründet haben.

Pitter, wie er auf der Waldeck genannt wurde, hatte in der Deutschen Jungenschaft wichtige musikalische Impulse erfahren, und seine Horte beeinflußte die kulturelle Aktivität auf Burg Waldeck maßgeblich. Er war ein Außenseiter und ging seinen eigenen Weg: um der Einberufung zur Bundeswehr zu entgehen, trampte er (1954!) nach Bagdad, und zur Kunst besaß er eine Einstellung, die für ihn ebenso typisch ist wie die Antwort: „Zuerst singe ich ein Lied, weil es mir gefällt und ich deshalb das Bedürfnis habe, es zu singen. Wenn ich darüber hinaus merke, daß das Lied auch einen Einfluß auf das Bewußtsein meiner Zuhörer hat, so bejahe ich das und bin über diesen Nebeneffekt froh.“

Die Pirmasenser Brüder Oss und Hein Kröher, ebenfalls Waldeck-Pioniere, sprechen von ihm, ihrem Freund, als einer „großartigen menschlichen Erscheinung“, die ganz am Anfang seines Schaffens gestanden habe, denn Rohland hat sich erst relativ spät entschlossen zu singen, und auch dann habe es einiger Zeit bedurft, bis er inhaltlich und stilistisch zu dem fand, was er in den letzten drei Jahren seines Lebens dem Publikum vortrug.

Vier Themenkreisen widmete sich Rohland:
den Liedern der 48er Revolution, die er leidenschaftlich sammelte;
jiddischen Liedern;
Vagabundensongs und
eigenen Vertonungen der Villon-Gedichte.

Diese Lieder und seine Rotwelsch-Landstreicherballaden waren bei seinem Tode zum Großteil nur auf Tonbändern, teils persönlichen Aufnahmen, teils Mitschnitten bei öffentlichen Veranstaltungen, erhalten.

Es sind gleichsam nur Kostproben, doch sie zeigen, wie Rohland innerlich engagiert war, wie er ein Lied in den „Griff“ bekam, wie er die Melodien, die er einem Text unterlegte, durch Gitarrenbegleitung und den Einsatz eines weiteren Instrumentes, zu einem Effekt machte. Dabei sind seine Lieder völlig ungekünstelte, ja sogar scheinbar naive Interpretationen, unaufdringlich mit der wohltönenden, fülligen, aber unsentimentalen Stimme des nicht abgeschmackten Volkssängers vorgetragen.

Der eigenwillige Chanson- und Folkloresänger nimmt unter den „Stars“ dieser Sparte eine Sonderstellung ein, denn als er starb, war er nicht gefeiert, sondern ein Entdecker mit einer unromantischen Einstellung. Nicht mit Träumereien und Luftschlössern lebte er, er suchte kein schönes Gegenbild zur „modernen Welt“, er sah vielmehr im Lied das Zeugnis menschlichen Leidens und Frohseins. Er löste das Volkslied aus der romantisierenden Ideologie und machte es zum Bestandteil eines progressiven Bewußtseins und zu einem „modernen Lied“, das Armut, Verfolgung und Ungerechtigkeit als Themen nicht ausklammert. Seine Landstreicherballaden stellen geradezu eine neue Gattung des Folksongs dar; mit seinen Interpretationen jiddischer Lieder erschloß er mehr als ihren exotischen Reiz; mit seinen Liedern deutscher Demokraten deckte er eine vergessene Tradition des deutschen politischen Liedes wieder auf; mit seinem Villon-Zyklus gab er der berühmten Übersetzung von Paul Zech eine kongeniale musikalische Form.

In einer kurzen Zeit hatte Peter Rohland die Welt des Chansons, des Songs und der Folklore wie kaum ein anderer in Deutschland bereichert. Eine Fülle von schönen und bekannten Liedern hat er mit seiner ausdrucksstarken Stimme einem größeren Publikum – vielleicht auch nur mittelbar über seine Freunde, mit denen er sang – nahegebracht.

Er besaß eine klare gedankliche Konzeption, was sich in seinen Einführungen zeigte, und das Gesangstalent, das ihn nicht nur vom Musikalischen her primär und allein an die Lieder herantreten ließ, und so regte er seine Zuhörer über den ästhetischen Genuß hinaus euch zum Nachdenken an.

Die Impulse, die er gab, wirken nach und seine Vorstellungen über das Singen von Volksliedern schlechthin sind Anstoß zu weitreichenden Diskussionen geworden. Er betrieb keine verstaubte Volkstumspflege, sondern seine stets spontane Begeisterungsfähigkeit war verquickt mit echtem Engagement in künstlerischen Dingen, Sicherheit im Geschmack und der Distanz, die zum reflektierenden Einfühlungsvermögen erforderlich ist. Mit dem sicheren Gespür für Themenkreise hätte Peter Rohland noch eine Fülle von Programmen mit speziellem Charakter zusammengestellt, hätte nicht der Tod das frühe Ende bestimmt.

Als Chansonnier und Volksliedersänger – und so fühlte sich Peter Rohland – wollte er, der vom rein gefühlsbetonten Gesang nichts hielt und selbst ein „rein lyrisches Chanson ohne intellektuelle Interpretation als ein Unding“ ablehnte, seinem Publikum etwas sagen, er gab so dem Lied, reflektiert gesungen, eine politische Funktion. Geschichte ist für Peter Rohland eine Geschichte des Protestes gegen Erniedrigung und Unterdrückung, ist auch Geschichte einer Solidarität unterdrückter und ins Asoziale abgedrängter Minderheiten mit Gruppen, die sich für Menschenwürde und Freiheit engagieren. Seine Volkslieder umfassen deshalb den ganzen Aspekt menschlichen Lebens – von der äußersten Sentimentalität bis zur harten und derben Darstellung, sie machen den Protest als reellen Kern sichtbar.

Den ästhetischen Rang, den Rohland dem Protestsong zumißt, demonstriert er in seinen „Liedern des Francois Villon“. Diese Ästhetik soll für die Unterdrückung sensibel und den Druck der kapitalistischen Wirklichkeit umso deutlicher werden lassen.

Völkische Ideologien beeindruckten Peter Rohland ebensowenig wie schmiedeeiserne Zeugnisse einer fragwürdigen Blut-und-Boden-Tradition, und ebensowenig sollte man seine Lieder als Beitrag einer Pflichterfüllung nach einer noch nicht abgegoltenen Vergangenheit sehen; allein menschlich-soziale Gesichtspunkte berührten ihn.

Stephan Rögner


(Scan als PDF-Download)