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Heinz Siebold: Der Liederwiederentdecker

Aus: Stuttgarter Zeitung vom 22. Mai 2012. (PDF Download)


Der Liederwiederentdecker

Porträt: Peter Rohland sorgte in den 1960er Jahren für die Renaissance der deutschen Freiheitslieder. Sein Vermächtnis mussten andere erfüllen. Eine Erinnerung an den Sänger, der das politische Lied in die Politik zurückgebracht hat. Von Heinz Siebold

Stattlich war er, ein kräftiger Kerl mit einem großen Mund im freundlichen Gesicht. Dazu passte seine voluminö­se Stimme. Ein Bassbariton, wie ge­schaffen für den Solovortrag. Die kräftigen Hände zupften und drückten die Sai­ten einer massiven Wanderklampfe, die auch mal einen derben Stoß vertragen konnte.

So war Peter Rohland, Sänger, Liedermacher und Liederwiederentdecker. Einer, der viel zufrüh gestorben ist, mit 33 Jahren schon, und da­bei hatte er sich gerade erst auf einen Weg gemacht, der ihn wahrscheinlich so weit nach oben gebracht hätte wie einen Reinhard Mey, einen Hannes Wader, Dieter Süverkrüp oder einen Franz Josef Degenhardt. Um nur ein paar zu nennen, die auf der Bühne begonnen haben, die Peter Rohland ihnen in den 1960er Jahren geboten hat: die internationalen Festivals für Chansons und Folklore auf der Burg Waldeck im rheinland­pfälzischen Hunsrück.

„Die Waldeck“ – wackere Veteranen der Epo­che, die man mit „1968“ chiffriert, bekommen leuchtende oder feuchte Augen, wenn der Name fällt. Auf der Waldeck trafen sich 1964 und 1965 Künstler in großer Zahl, mehr noch Amateure als Profis, die „open Air“ Volkslieder ohne Blut-­und-­Boden-­Anhaftungen zum Vortrage bringen wollten. Auch Lieder, die von einem Jahrhun­dert deutscher Obrigkeitsstaaten unterdrückt und in Vergessenheit geraten waren. Lieder demokratischer Freiheitsbewegungen, Lieder des sogenannten Vormärz, die den bürgerlich-­de­mokratischen Aufständen der Jahre 1848/49 vo­rausgingen und sie begleiteten. Es war Peter Rohland, Mitbegründer des Festivals, der 1964 auf der Waldeck vor einem großen Publikum erstmals wieder das „Bürgerlied“ sang. Das Lob­lied auf die demokratische Einheitsfront derer, die „rote, gelbe Kragen, Stiefel oder Schuhe tra­gen“ und „in der Welt was schaffen“ und nicht „die Welt begaffen“ wollen.

Heute ist es kaum nachvollziehbar, warum das so eingeschlagen hat. Die Zeitzeugen müs­sen weit ausholen und erklären, was für eine Epoche das war: Die „Sechziger“ vor 1968, das war die immer noch bleierne Nachkriegszeit, in der die Nazivergangenheit wie ein dichter Nebel den Blick auf alles versperrte, was es Gutes und Freiheitliches in der Ge­schichte gegeben haben mochte. Auch und gerade bei dem, was Deutsche, im Verein oder privat, auf je­den Fall aber gerne gemein­sam praktizieren: Liedersingen. Doch „Schwarz­braun ist die Haselnuss“ klingt nun mal nach einem braunen Regime mit Massenaufmärschen und Massenmord, nicht mehr unschuldig fröhlich. Welches Lied hatten die Nazis nicht missbraucht? Selbst die linken Arbeiterschlager waren vor Missbrauch nicht gefeit. Die Fahne hoch – ja, aber welche denn?

Was sollen wir singen, wenn wir singen? „Die Deutschen waren nach 1945 zu einem Volk ohne Lieder geworden“, sagt Holger Böning, Profes­sor an der Universität Bremen und Experte für populäre Kommunikationsformen. „Die Lieder waren verhunzt, und es ist Peter Rohland zu ver­danken, dass die Freiheitslieder der bürgerli­chen Revolution eine Renaissance erlebten.“

Es war aber auch einfach Zeit, dass etwas an­deres kam als immer nur Schlager. In Englandtönten bereits die Beatles, in Amerika sang sichJoan Baez warm. Das Revival der deutschen Freiheitslieder wurde ein Politikum. Peter Roh­land äußerte sich dazu 1966 in der Zeitschrift „Song“ sehr dezidiert: „Es ist an der Zeit, den Nebel auseinanderzublasen, mit dem die Ro­mantiker und die völkischen Ideologen unsere Volkslieder umgeben haben.“ Nicht nur die harmlosen Vagabundenlieder, auch die jiddi­schen, „auch die Lieder der Revolution von1848, der Arbeiterkämpfe und die Lieder aus den Konzentrationslagern“ seien „Deutsche Volkslieder“. Dass sie wiederentdeckt wurden, ist sein Vermächtnis geworden, kurz darauf, am 5. April 1966 starb Rohland in der Uniklinik Freiburg an den Folgen einer Gehirnblutung.

In seiner Person spiegelt sich deutsche Zeit­geschichte. Peter Rohland wurde am 22. Febru­ar 1933 in Berlin geboren, zwei Wochen zuvor hatte Reichspräsident Hindenburg Adolf Hitler die Reichskanzlerschaft übergeben. Kindheit und Jugend sind geprägt von ständigen Orts­wechseln: Aufgewachsen bei der Großmutter in Breslau, umgezogen 1939 nach Stuttgart, Eva­kuierung im Krieg nach Freudental, Umzug nach Kriegsende nach Göppingen. Dennoch:„Bei uns ist ständig gesungen worden“, erinnert sich die vier Jahre jüngere Schwester Ingrid.

Peter Rohland ist musikalisch vorbelastet: Der Vater, ein Rechtsanwalt, hat sich als Opernsänger ausbilden lassen und arbeitete auch an der Stimme seines Sohnes. Die Mutter war früh mit der bündischen Jugend unterwegs. Die „Wandervögel“ der Weimarer Republik suchten die blaue Blume des Glücks in der Natur und hielten sich von der Politik fern, was nicht ver­hinderte, dass sie von den Nazis verboten und in der Hitlerjugend „gleichgeschaltet“ wurden.

Zaghaft nur und ein wenig verschämt lebten nach der Befreiung vom braunen Unrechtsstaat die bündischen Traditionen hier und da wieder auf. Auch in Göppingen. Peter Rohland gründe­te und leitete dort zwischen 1951 und 1956 die Schwäbische Jungenschaft, später eine Jun­genschaft der Burg e.V. und eine Deutsche Jun­genschaft. Der „Pitter“, so sein bündischer Na­me, war sehr beliebt, weil er eine ausgleichende Natur hatte. „Er war schon als Kind eine Per­sönlichkeit, er hat immer Verantwortung über­nommen, er war immer für mich da, und ich vermisse ihn bis heute“ erzählt seine Schwester Ingrid. „Er zog die Leute in den Bann“, berich­tet der frühere Freund Joa­chim Michael. „Wenn er an­fing zu singen, hatte er den Saal für sich.“

Aus dem bündischen Ju­gendleiter mit den kurzen Hosen und dem Halstuch wurde in den 50er Jahren der Jurastudent in Tübin­gen, dann der Musikstudent in Berlin. Beide Studien brach er vorzeitig ab, zum Ärger seiner längst geschiedenen Eltern. Ihr Sohn machte partout keinerlei Anstalten, ein bürgerliches Leben anzustreben. Er reiste stattdessen mit Jugendgruppen durch Europa, am liebsten nach Griechenland, und sang.

Die Art seines Gesangs brachte den stimm­kundigen Vater auf die Palme, er verabscheute den jugendbewegten Solostil, sein Junge sollte „schön singen“ wie ein Opernsänger. Immerhin ließ sich der „eigenwillige Bock“ widerwillig da­rauf ein, sich vom Vater ein wenig unterrichten zu lassen. Das merkt man dem Liedern an, die erhalten geblieben sind. So singt heute niemand mehr, und man hört, wie „eigentümlich unfer­tig“ Peter Rohland war und es auch geblieben ist. So charakterisierte ihn Eckard Holler aus Tübingen, Kenner der bündischen Szene, in einem Porträt vor sieben Jahren. Rohland bahn­te den Weg, den andere beschreiten konnten.

Vielleicht konnte nur einer aus dieser Szene so glaubhaft die Renaissance des Volksliedes vo­rantreiben, weil man sehen und hören konnte, wie er sich selbst erst aus dem bündischen Mi­lieu herausarbeitete. Nach der Lagerromantik („Vertäut am Abendstern“) folgte die Beschäfti­gung mit jiddischen Liedern („Der Rebbesingt“), nach den 48er ­Liedern kamen die Balla­den von François Villon. Noch bevor er sie auf einer Tournee richtig bekanntmachen konnte, starb er. Andere Barden, von Walter Mossmann bis Wolf Biermann, ließen sich davon inspirie­ren und sorgten Jahre später dafür, dass die Re­naissance von Chanson und Folklore in deut­scher Sprache in den neuen Bewegungen von Wyhl bis Wackersdorf, von Bonn bis Mutlangen ihre identitätsstiftende Wirkung entfaltete. Das politische Lied war in die Politik zurückgekehrt.

Auch nach Rohlands Tod wurde auf der Burg Waldeck weitergesungen, allerdings entglitt das Festival den bündischen Veranstaltern 1968, als im linksradikalen Überschwang gefordert wur­de: Klampfen an die Wand – diskutieren, statt musizieren! Es gab Liedermacher und Kabaret­tisten, die danach nie mehr auf die Waldeck gin­gen und nie völlig vergessen konnten, wie übel sie auf dem eigentlich so friedlichen und freien Wallfahrtsort angepöbelt und lächerlich gemacht wurden. Dennoch: die ersten Festivals auf der Burg Waldeck waren auf künstlerischem Gebiet ein Wetterleuchten „vor 1968“, so wie et­wa die spontanen außerparlamentarischen Pro­teste gegen den Versuch, 1962 das Magazin „Der Spiegel“ mundtot zu machen oder die Oster­märsche gegen die Atombombe.


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