Aus: „song“ Nr. 1, 1966, Detmold. (Scan als PDF-Download)
Songs deutscher Demokraten 1848
Erwarten Sie bitte von mir keine detaillierte Schilderung der Ereignisse und Entwicklungen vor und nach dem 18. März 1848. Ich möchte nur ganz allgemein das Spannungsfeld umreißen, innerhalb dessen die nachfolgenden politischen Lieder und demokratischer Gedichte entstanden.
Den einen Pol dieses Spannungsfeldes bildeten die von der Aufklärung, der französischen Revolution und den Befreiungskriegen ausgehenden sowie von mannigfachen sozialen Mißständen und gesellschaftlichen Umgruppierungen veranlaßten Ideen und Reformpläne. Diese Pläne wurden vorwiegend von Bürgern und Studenten, aber auch von Handwerkern und der damals gerade aufkommenden Schicht der Arbeiter getragen.
Den anderen Pol stellte die europäische Internationale der Fürsten und Könige mit ihren angestammten, absolutistisch angewandten Machtmitteln und Privilegien sowie dem die Verbindung von Kirche und Staat symbolisierenden Begriff des Gottesgnadentums.
Seit 1815 kam es zu Auseinandersetzungen, die von beiden Seiten mit zunehmender Schärfe geführt wurden. Auf dem Wartburgfest verbrannten Studenten die Symbole der Reaktion: Haarbeutel, Gardeschnürleib und Korporalstock; dies und die Ermordung des zaristischen Agenten Kotzebue, der in einer Hetzschrift zynisch behauptet hatte, die Studenten, die eine Verfassung wünschen, wären verbummelt und fänden sonst keinen Erwerb, gab Anlaß zu umfassenden Freiheitsbeschränkungen, den Karlsbader Beschlüssen.
Die polizeilich verfügte Kirchhofsruhe durchbrach das Hambacher Fest mit seiner Begeisterung für die polnischen Freiheitskämpfer und dem Ruf nach Vaterland, Volkshoheit, Völkerfreundschaft. Neue, schärfere Verfolgungen waren die Antwort.
Mitte der vierziger Jahre folgten jedoch bereits neue Unruhen: die Weberaufstände sowie andere Hungerrevolten und schließlich, als Höhepunkt, die revolutionären Ereignisse des Jahres 1848.
Beim Zusammentreten der Nationalversammlung in Frankfurt zeigte es sich, daß die Anhänger der republikanischen Idee in der Minderheit waren; die Mehrheit neigte dem konstitutionellen Gedanken zu. Im Windschatten der Verhandlungen in der Paulskirche konnten sich die von der Entwicklung zunächst überrannten alten Gewalten neu formieren: Zunächst setzten sie ihr Militär gegen die Umsturzversuche der Linken ein, um es später gegen die Nationalversammlung selbst zu verwenden.
In diesen Auseinandersetzungen, bei denen die eine Seite alle, die andere keinerlei Macht in den Händen hielt (oder sie nicht anzuwenden wußte), fiel den Dichtern und Journalisten, der Literatur und Presse, den Satirikern und Flugblatt-Pamphletisten eine besondere Aufgabe zu: sie hatten der Gewalt das Ethos des Wortes entgegenzusetzen.
Es ist erstaunlich, wie neue politische Lieder und Gedichte nahezu augenblicklich weiteste Verbreitung fanden, in Musik gesetzt wurden, bei den Bürgerversammlungen Diskussionen auslösten, trotz Zensur und Androhung von Gefängnis. Oft waren es Handwerksburschen, die für die Verbreitung sorgten; so wurde z.B. Anfang der 30er Jahre ein Liederheft mit 82 meist sangbaren Titeln bekannt: Es hieß „Deutsche Volksstimme“ und enthielt die Festgesänge von Hambach, Badenweiler und dem Steinhölzli, Demagogenlieder, Polengedichte und schrille Haßschreie wie die „Fürstenjagd“.
1848 erschien auch das sofort wieder eingestampfte „Republikanische Liederbuch“, herausgegeben von Hermann Rollet unter dem Motto:
„Mag auch die Throne halten
zur Frist noch das Geschick, –
Im Schoß der Tage schlummert
Die deutsche Republik.“
Das Neue an der entstehenden politischen Dichtung war, daß sich in die vaterländisch-kämpferischen Töne der Arndt, Körner und Schenkendorff nun kräftig die Farben der Ironie und Satire mischten:
Chamisso schrieb seine Satire von „einem, dem’s zu Herzen ging, daß ihm der Zopf so hinten hing“. Franz Dingelstedt verfaßte die „Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters“, Adolf Brennglas (alias Gasbrenner) die Ballade vom „guten, stammelnden Untertan“. Auch Heines bissige „Zeitgedichte“ gehören in diese Reihe. Selbst bei Ferdinand Freiligrath, Georg Herwegh und Hoffmann von Fallersleben klangen neben ernsten auch ironische Töne an. Herwegh wurde deshalb mit den königlichen Worten: „Ich liebe eine gesinnungsvolle Opposition“ aus Preußen ausgewiesen und lebte später in Paris. Freiligrath dichtete in England, Fallersleben wurde ohne Pension vom Amt suspendiert. Es war gefährlich, seinen Namen unter Verse zu setzen; eine Schar von Zensoren und Geheimpolizisten, Spürhunde der „Zentralen Untersuchungskommission“ zu Mainz wachte über die Reinheit der Literatur. Hier versuchte man bei anonym erschienenen Schriften den Verfasser ausfindig zu machen. Man findet in den Akten dieser Behörde folgende Verse eines anonymen, in Michelstadt bei Volksaufläufen und auf der Straße von Bauernburschen gesungenen Liedes:
Brüder, so kann’s nicht gehn,
Laßt uns zusammenstehn,
Duldet’s nicht mehr!
Freiheit, dein Baum fault ab,
Jeder am Bettelstab
Beißt bald ins Hungergrab, –
Volk, ins Gewehr!
Dann wird’s, dann bleibt’s nur gut,
Wenn du an Gut und Blut
Wagst Gut und Blut,
Wenn du Gewehr und Axt,
Schlachtbeil und Sense packst,
Zwingherrn den Kopf zerhackst, –
Brenn, alter Mut!
Brüder in Geld und Seid‘,
Brüder im Bauernkleid,
Reicht euch die Hand!
Allen ruft Deutschlands Not,
Allen des Herrn Gebot,
Schlag eure Plager tot,
Rettet das Land!“
Das Lied wurde nach der Weise „Heil dir im Siegerkranz“ gesungen, die nach preußischen Zensor-Grundsätzen dem König und seinem Hause vorbehalten war.
Es ist hier nicht nötig und sinnvoll, alle Verfasser politischer Lieder zu erwähnen, der allgemeine Hinweis möge genügen, daß es eine ganz erstaunliche Menge waren. Ihre Produktionen wurden im Vormärz begeistert begrüßt, im Jahre 48 gefeiert; in den folgenden Jahren der Reaktion gerieten sie in Acht und Bann.
Es ist im allgemeinen recht wenig über die große Emigrationsbewegung von Intellektuellen und Kämpfern aus den Freischaren bekannt; August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der Ihnen nicht ganz unbekannt sein dürfte als Schöpfer vaterländischer Lieder, hat ja ein besonderes „vaterländisches“ Lied geschrieben, ein Auswandererlied unter dem Titel „Deutscher Nationalreichtum“. (Damals wanderte man nach Amerika aus.)
Peter Rohland
wir wandern nach Amerika;
was nehmen wir mit ins neue Vaterland?
Wohl allerlei, wohl allerhand:
viele Bundestagsprotokolle,
manch Budget und manche Steuerrolle,
eine ganze Ladung von Schablonen
zu Regierungsproklamationen,
weil es in der neuen Welt
sonst dem Deutschen nicht gefällt.
Hallelujah, hallelujah,
wir wandern nach Amerika;
was nehmen wir mit ins neue Vaterland?
Wohl allerlei, wohl allerhand:
Korporal- und andre schöne Stöcke,
hunderttausend Schock Bedientenröcke,
Nationalkokarden, bunte Kappen,
zehnmalhunderttausend Knöpfe mit Wappen,
weil es in der neuen Welt
sonst dem Deutschen nicht gefällt.
Hallelujah, hallelujah,
wir wandern nach Amerika;
was nehmen wir mit ins neue Vaterland?
Wohl allerlei, wohl allerhand:
Kammerherrenschlüssel – viele Säckel,
Stamm- und Vollblutbäume – dicke Päckel,
Hund – und Degenkoppeln – tausend Laste
Ordensbänder – hunderttausend Kasten,
weil es in der neuen Welt
sonst dem Deutschen nicht gefällt.