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Alfred Kottek: Erinnerungen

Aus: FOLKbuch 6, Peter Rohland 1966~1966, Edition Venceremos, 1976. (Scan als PDF-Download)


Erinnerungen

von Alfred Kottek

Peter Rohland –
das war die dünnhäutige Empfindsamkeit des Künstlers im Austausch mit seiner Umwelt; das war die überquellende Leidenschaft eines Kämpfers für ein Bekenntnis zur Menschlichkeit; das war die unsichtbare aber feste Disziplin eines logisch gestaltenden Geistes, der all die mit übersprudelnder Munterkeit hervorbrechenden Gefühle, Abenteuer und Ideen wie ein unzerreissbares Nylonnetz umfasste und formte.

Es war diese stete Auseinandersetzung zwischen Impulsen, die eine Sturzwelle von Gefühlen auslösen konnte einerseits, und ihrer geistigen Durchdringung, Formung, andrerseits, die mich immer wieder neu faszinierte während der Jahre, die ich sein Leben begleitete.

Um zu erklären, was ich meine, kommt mir eine Episode in Erinnerung aus dem Jahr der grossen Orientfahrt: Es war noch in deren frühem Stadium, die Freiheit, das Entkommensein der durchgeplanten Zivilisationsmühle, durchpulste uns noch ungehemmt. Die Steppen und Wüsten Vorderasiens hatten noch nicht ihre Marken in uns gebrannt. Wir wanderten mit all unserer Habe durch die peleponnesische Landschaft Elis, die arkadischen Berge zur Seite.

Es war Juni, der griechische Sommer war noch jung, das Getreide schon geschnitten. Als die Nacht rasch und warm fiel, machten wir in einem Olivenwald halt, breiteten die Ponchos zum Nachtlager aus, und zum Schlaf ausgestreckt, während eines ruhig fliessenden Gesprächs, beobachteten wir den Vollmond, wie er unser unruhig flimmerndes, voller Zikaden steckendes Olivendach durchdrang.

Da – kurz vor dem Gute-Nacht-Wort, erhob sich aus den Hügeln die Melodie einer Hirtenflöte, die sich mit improvisierender Leichtigkeit dem perlenden Schwung und Rhythmus des Tsamiko, der griechischen Musik der Berge, hingab. Wie ein Schock hatte es Pitter durchfahren, er schreckte hoch und wie getrieben von einer unbeugsamen Macht, hasteten wir durch die Nacht, über aufgeworfene Erdschollen, über Umzäunungen. Da endlich, auf einem Stoppelfeld, weidete die Schafherde und auf seiner Jacke sitzend flötete ein Hirtenjunge. Mit griechischer Gastfreundschaft lud er uns ein, uns zu setzen, und es entspann sich das übliche gestenreiche, wortarme Gespräch, das gleichwohl das Gefühl des Sichverstehens hinterliess. Pitter spürte das menschliche Echo – gab sich ihm hin. Als der Hirtenjunge gar wieder seine Flöte an den Mund setzte, hing Pitters Blick an seinen Lippen und ganz Griechenland und das ganze Glück der Welt schien auf ihn hereinzustürzen. Als die Herde weiterzog verabschiedete sich der Hirte und legte zum Geschenk die Flöte in Pitters Hand; das Metallrohr eines alten Zeltstabs der italienischen Besatzungsmacht in das der Junge Löcher gebohrt hatte. Ein Stück Metall, das in diesem Augenblick alles Gold des Klondyke River nicht hätte aufwiegen können.

Die Nacht war noch lang an unserem Lagerplatz. Als ich nach kurzem Schlaf am nächsten Morgen erwachte, hatte Pitter den Text zu einem später vertonten Lied geschrieben, dessen erste und letzte Strophe heißt:

Rollt ein blutroter
Mond von den Bergen
in den Augenwinkeln
treibt er sein verliebtes Spiel.

Erwach ich – bin traurig
doch auf einem Blatte
liegt die kleine Flöte
Hirtenflöte – Pan’s Geschenk.

War es in diesem Falle das Bändigen eines Gefühlsüberschwanges aus einer Augenbiickssituation und dessen Umsetzen, Sublimieren in etwas Bleibendes, ihn hinfort sein Leben Begleitendes, so ist die folgende Schilderung der ersten Begegnung mit Wolf Biermann der Ausdruck einer Grundstimmung, die ihn in seinem Engagement für den Kampf unterprivilegierter Minoritäten trug.

Es war in Berlin am Vorabend des studentischen Aufbruchs. Es war die Zeit als Pitter an den Liedern der deutschen Demokraten der 48er Revolution arbeitete. Damals war Wolf Biermann in bundesdeutschen Plattenläden noch weithin unbekannt. Ein Treffen mit ihm war in seiner (Ost)Berliner Wohnung vereinbart worden. Ich begleitete Pitter. Um das Mietshaus in der Berliner Hauptstraße rauschte der Verkehrslärm. Die Etagenwohnung war durch die geschlossenen Fensterläden abgedunkelt. Ein dunkel getönter blanker Holzboden und die hohen Altbauwände liessen das Zimmer noch größer erscheinen. Antike Stücke und Nebensächlichkeiten, Produkts unseres Alltags, nur dem empfindsamen wachen Auge einer unabhängig geformten Persönlichkeit in ihrer ästhetischen Aussagekraft zugänglich, waren eine eigenwillige Mischung eingegangen.

Noch war Biermann zurückhaltend; es lag noch die Verkrampfung im Raum, die im Kontakt mit Menschen entsteht, die sich ihrer Schwierigkeit in der Begegnung mit anderen bewußt sind. Bei Biermann schien mir damals die Isolation und der Druck, der auf ihn vom ostdeutschen Kulturestablishment ausgeübt wurde, nachhaltige Spuren hinterlassen zu haben.

In dieser Situation griff Pitter zu seiner Gitarre. Erst das Lied der deutschen Amerika-Auswanderer von 1848, mit all der Selbstironie und Distanz, die dieser Originaltext der in die Emigration getriebenen Demokraten verlangt. Dann die Ballade vom badischen Aufstand des Hecker. Es trägt volksliedhafte Züge und erlaubt dramatischen Aufwand und Emotion. Pitter spürte der Seele dieser Art Volkslieder nach. Er beließ ihnen ihren naiven Ausdruck und sein Engagement für ihr politisches Anliegen kam in einer höheren Abstraktionsstufe zur Geltung: indem er diese Lieder und damit ihren Inhalt und ihre Zeit für uns ausgrub und wiederentdeckte.

An jenem Nachmittag bei Biermann und in der Gegenüberstellung mit dessen Liedern, und in dem reizvollen Wechsel von einem zum anderen, vom ausgefeilten, subjektiv empfundenen gesellschaftskritischen Chanson zu „Volkes Stimme“, wurde mir dieses Engagement besonders deutlich.

Beide Sänger fanden damals Gefallen aneinander. Biermann taute auf, trug einige neue Entwürfe vor. Bei beiden war ein unausgesprochenes Bekenntnis zur emotionalen Radikalität unüberhörbar, bei beiden waren ihr intellektuelle Zügel angelegt, die freilich sehr verschieden beschaffen waren.


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