Zurück zu Sein Selbstverständnis als Sänger und Liederforscher

Interview von Bernhard Wette

Aus: „song“ Nr. 1, 1966, Detmold. (Scan als PDF-Download)


in memoriam
Gespräch mit Peter Rohland

Peter Rohland gehört seit längerer Zeit neben Franz-Josef Degenhardt und Dieter Süverkrüp zu den profiliertesten Vertretern eines im Deutschland nach der Jahrhundertmitte neuen „Berufes“, dem des Chansonniers. Unser Redaktionsmitglied Bernhard E. Wette besuchte Peter Rohland in seiner Berliner Wohnung.

Song: Herr Rohland, wann haben Sie zum ersten Mol ein Instrument gespielt?

Rohland: Das muß so um 1938 in Breslau gewesen sein. Meine Großmutter hatte mich zu einer Vorstellung in Liebigs Varietébühne mitgenommen. Dort traten Clowns auf, die auf winzigen Mundharmonikas spielten und dazu sangen. Ich eiferte ihnen nach und gab Konzerte in unserem Hinterhof. Das war mein erstes öffentliches Auftreten. Als Gage regnete es Schokolade aus den Fenstern.

Und danach?

Mein zweiter öffentlicher Auftritt fand erst 1956 statt. Damals taten sich die Bars und Weinlokale in Berlin noch schwer. Ich bildete eine der Attraktionen des „Historischen Weinkellerse zu Pichelsdorf an der Havel – das bilde ich mir jedenfalls ein. Trink- und bibelfeste Volkslieder bildeten dort mein Repertoire, Eines Abends, als ich den wesentlichen Teil meines Honorors, das Abendessen, verzehrte, trat ein sympathischer Herr mit weißer Künstlermähne auf mich zu. Es war Willi Schaeffers, der Berliner Cabaret-Altmeister. Am nächsten Tag erhielt ich einen Brief von ihm. Er begann mit den Worten: „Lieber Kollege, ich glaube, Sie müssen unter Menschen“.

Und Sie kamen „unter Menschen“?

Ja, ich erhielt über meinen liebenswürdigen Förderer Engagements im inzwischen eingegangenen Chanson-Cabaret „Kelch“, wo Ich mit meinen schlichten Volksliedern einen seltsamen Gegensatz zu den mondänen und prickelnden Chansons einer inzwischen vergangenen Epoche abgab.

Doch war dies sicher nicht Ihr einziges Engagement in dieser Zeit?

Später trat ich gelegentlich beim „Tingeltangel“, dem Haus Willi Schäffers, auf, und sang nebenbei bei den „Vaganten“, einer kleinen engagierten Bühne, die neben ihrem Theaterbetrieb Lesungen oder Balladenabende in ganz Berlin veranstaltete. Bei diesen Lesungen brachte ich jeweils dazu passende Lieder. Oft hatten wir mit der S-Bahn Anfahrtswege von über einer Stunde (Ostberlin war noch nicht durch die Mauer getrennt). Ich sang in Obdachlosenheimen, christlichen Hospizen, Hochschulen, Berufsinnungen, Gefängnissen, Jugendheimen und Kirchen. Nie wieder habe ich vor so verschiedenartigem Publikum gesungen wie in dieser Zeit.

Im Frühjahr 1962 fuhren Sie nach Paris; was war der Antrieb dazu?

Ja, das kam so: Eines Abends schleppte ein Freundd en jungen und sehr intelligenten Pariser Chansonnier Daniel Lalou in die Kongreßhalle. Später saßen wir in meiner kleinen Mansarde zusammen. Zum ersten Mal erfuhr ich von den literarischen Cabarets und Chansonkellern in Paris. Sofort beschloß ich, hinzufahren, denn dafür, was ich wollte, schien mir der Boden in Berlin nicht aufnahmebereit genug zu sein.

Wie erging es Ihnen dann in Paris?

Nun, Anfang Januar 1962 rollte ich im Gare du Nord ein. Koffer und Guitarre in der Hand eilte ich zum nächsten Fernsprecher, um mich bei Daniel zu melden. Aber: Daniel war nicht da. Ich verstand soviel wie: Daniel sei in Untersuchungshaft wegen irgendwelcher linkstendenziöser Umtriebe. Nun, das war zur Zeit der OAS-Attentate keine außergewöhnliche Mitteilung. Aber ich stand da und wußte rein gar nichts. Nur ein Name war mir noch im Gedächtnis: „Cabaret La Contrescarpe“. Erst nach einigen Tagen fand ich dorthin und hörte und sah eine Nacht lang den Chansonniers, Pantomimen, Märchenerzählern, Filmexperimenten und Folkloresängern zu. Am frühen Morgen erhielt ich meinen Probeauftritt und wurde gleich engagiert. Auch im „Petit Pont“ sang ich allabendlich, sowie verschiedene Male in der RTF.

Sie hatten also ziemlich rasch gute Erfolge?
Warum entschlossen Sie sich dann trotzdem, wieder nach Deutschland zurückzukehren?

Der Grund dafür ist recht naheliegend: Der Chansonnier, auch der Volksliedersänger will seinem Publikum etwas sagen, – von rein gefühlsbetontem Gesang halte ich nichts, selbst ein rein „lyrisches“ Chanson ist ohne intellektuelle Interpretation ein Unding. Chansons, ja selbst Volkslieder dürfen wir heute nicht mehr unreflektiert singen. Melodie, Stimmatmosphäre kommen – im Gegensatz zum Schlager – erst in zweiter Linie. Daraus folgt: Ein Chansonnier ist auf die vollkommene Beherrschung der Sprache, in der er singt, angewiesen, auf die Kenntnis des Landes, seiner Gesellschaft, seiner Geschichte und all dieser winzigen Mosaiksteinchen, aus denen ein Sänger sein Lied zusammensetzt, durch Text und Interpretation Assoziationen hervorruft etc. Wenn er all dies nicht beherrscht, wird der Zuhörer immer das Authentischere vorziehen, nicht etwa, weil er dem einen besonderen Wert an sich beimißt, sondern weil das Authentischere dann immer das Differenziertere, Genauere und Gekonntere ist. In eine andere Kultur hineinzuschlüpfen, ist für ein Kind vielleicht noch möglich, für einen Erwachsenen jedoch schon viel schwerer – kostet ihn jedenfalls Jahre. Siehe die Emigranten der Dreißigerjahre!

Sie kamen also nach Berlin zurück, – mit welchen Plänen?
Wodurch wurden Sie angeregt, gerade die jiddische Folklore zu kultivieren, und zwar – soweit uns bekannt ist – als Erster in Deutschland?

Jüdische Bekannte in Paris hatten mich auf die Idee gebracht. Gerade auch hier war mir das Problem der Authentizität bewußt. Allerdings ist das Jiddische mit der mittelhochdeutschen Sprache sehr verwandt und uns teilweise sogar heute durchaus verständlich. Trotzdem habe ich mich mit freundlicher Unterstützung von Max Sprecher (Lektor für Jiddische Sprache an der Univetsität Heidelberg) und dem Herausgeber des Jiddischen Wörterbuches, Siegmund A. Wolf über ein Jahr lang mit der Sprache, Literatur und Geschichte der Ostjuden beschäftigt. Mit dem Violinisten Hanno Botsch, einem alten Bekannten, arrangierte ich die ersten Lieder für Stimme, Violine und Gitarre. Anfangs hatten wir bei unseren Aufführungen noch eine Balalaika und eine Domra dabei, die wir jedoch später wegließen.

Im Frühjahr 1963, also ein Jahr nach Ihrem Start nach Paris, traten Sie mit Ihrem neuen Programm zum ersten Mal auf. Welcher Erfolg war Ihnen hier und in der Folgezeit damit beschieden?

Unser erster Abend fand in der Galerie Diogenes statt, in drangvoller Enge und unter kritischer Beobachtung vieler Juden, die gekommen waren, um die „Gojim“ ihre Lieder singen zu hören. Doch der Bann war schnell gebrochen, und unser schönster Erfolg mit diesem Programm waren die mannigfachen Einladungen ins Jüdische Gemeindehaus, und ein unvergeßlicher Abend in einem Jüdischen Altersheim, wo wir inmitten galizischer, rumänischer und litauischer Leutchen ein Programm darboten. Hier wurde jedem von uns mindestens eine jüdische Großmutter angedichtet. Bis heute haben wir unsere „Jiddischen Volkslieder und Chansons“ über Fünfzig Male aufgeführt.

Ihr nächstes Programm, das Sie zusammen mit Schobert B. Schulz ausarbeiteten, waren Landstreicherlieder. Auf welchen Umwegen ist es Ihnen gelungen, die doch sicher nicht leicht aufzuspürenden Quellen dieser Liedgattung zusammenzutragen?

Der Zufall in vielfacher Form war mir dabei behilflich: Zufällig lernte ich auf einer Landstraße Süddeutschlands einige seltsame, etwa 60 Jahre alte „Knaben“ kennen, die Stöcke schwingend durch die Lande zogen und einen mir unverständlichen Jargon sprachen. Sie nannten sich „Kunden“ und verachteten Tramps und alle anderen Landfahrer, die nicht wie sie zu Fuß gingen, „walzten“.
Zufallig entdeckte ich in einem Antiquariat die Aufzeichnungen des ehemals wandernden Goldschmiedegesellen Hans Ostwald. Zufällig lernte ich meinen musikalischen Walzbruder Schobert kennen, zufällig kamen wir zu einer kleinen Concertina, die wir aus dem Nachlaß eines Clowns erwarben. Was sich aus all‘ diesen Zufällen ergab, läßt sich der POLYDOR LP „Landstreicherballaden“ entnehmen: eine Anthologie pfiffigen Kundensanges!

Mit „1848 – Songs deutscher Demokraten“ hatten Sie bei dem „II. Chansons – Folklore International“-Festival großen Erfolg. Sie hatten auch hiermit wieder fast völlig vergessenes Liedgut ausgegraben. Was hatte Sie hierbei besonders gereizt?

Von den deutschen Volksliedern interessiert mich am meisten das, was nicht in den Liederbüchern enthalten ist. Ähnlich wie bei den Kundenliedern überliefert uns kein Liederheft die Gesänge und politischen Lieder des Vormärz und der Jahre um 1848. Das ist um so verwunderlicher, als es sich hier doch um die wahrhaft demokratischen Traditionen handelt, auf welche sich unser Staat berufen müßte.
Was mich besonders anzog, waren die Frische und Aktualität der Texte. Hier liegt die Tradition begraben, an der das deutsche engagierte Chanson anknüpfen sollte. Und ich hoffe, durch meine Interpretation dieser Lieder jene Tradition bewußt zu machen.

Was sind Ihre weiteren Pläne, was wird ihr nächstes Pragramm sein?

Ich möchte, obwohl es riskont ist, einen Abend mit deutschen Volksliedern zusammenstellen.

Und welche wären das? – Glauben Sie wirklich, heute noch für deutsche Volkslieder Zuhörer zu finden?

Bestimmt. Sehen Sie: Volkslieder haben – einfach ausgedrückt – etwas mit dem Leben zu tun. Sie sagen darüber etwas aus. – Ich glaube, es ist an der Zeit, den Nebel auseinanderzublasen, mit dem die Romantiker und die völkischen Ideologen unsere Volkslieder umgeben haben. Es ist an der Zeit, neben den Liedern von Schwartenhälsen, der armen Jüdin und dem Deserteur auch die Lieder der Revolution von 1848, der Arbeiterkämpfe und die Lieder aus den Konzentrationslagern mit dem Begriff „Deutsches Volkslied“ zu verbinden. Wir müssen diesen Begriff endlich berichtigen. Deutsche Volkslieder haben weder mit „Volksseele“, noch mit „ewigen Werten“ etwas zu tun. Es sind einfach Lieder, die den ganzen Aspekt menschlichen Lebens umfassen, von der äußersten Sentimentalität bis zur harten oder derben Darstellung. Geschieht die Aussage jedoch in den Klischees der Zeit, ist sie auch in der Melodie oberflächlich und gefühlsbetont, dann handelt es sich um Schlager oder Schnulzen, ob sie nun heißen „Durch’s Wiesental gang i jetzt na“ oder „Küsse unterm Regenbogen“ . Andere Lieder sind präziser. Sie schildern eine genau erkennbare Situation oder den Ablauf eines Geschehens. Und diesen Liedern gilt mein Interesse.


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