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Hanno Botsch: Peter Rohland ist tot

Aus: „song“ Nr. 1, 1966, Detmold. (Scan als PDF-Download)


Peter Rohland ist tot

So plötzlich wir alle, die wir Peter Rohland kannten, von seinem Tode betroffen wurden und uns klar wurde, welche großartige menschliche Erscheinung aus unserer Mitte gerissen wurde, so wird es doch noch eine Zeit lang dauern, bis man vollständig erfassen wird, wie groß dieser Verlust für diese in Deutschland junge und noch wenig bekannte Kunstgattung – das Chanson – ist, Man wird es nicht nur dann merken, wenn Peter Rohland auf den Jamborees und Festivals, auf der Burg Waldeck, bei Rundfunk und Fernsehen fehlen wird, wenn in Studententheatern, Kunstämtern und Bühnen seine Programme nicht mehr zu hören sein werden, sondern vor allem dann wird der Verlust schmerzlich bewußt werden, wenn seine letzten beiden großen Liedersammlungen, die Lieder der 48er Revolution und die eigenen Vertonungen der Villon-Gedichte durch Platten und Rundfunk einem größeren Kreis bekannt werden. Die 48er Lieder hat er bisher nur wenige Male vorgesungen und nur einige seiner Villon-Lieder, quasi als Kostprobe in kleinerem Kreis vorgetragen. An der Gestaltung dieser beiden Programme, an denen er wohl auch innerlich am stärksten engagiert war, zeigt sich, wie meisterhaft er es verstand, ein Lied in den Griff zu bekommen. Die Melodien, die er einem Text unterlegte, die Gitarrenbegleitung und der Einsatz eines zweiten Instrumentes, das war alles so gut gemacht, daß es immerhin eine Ahnung gibt von dem, was man von Peter Rohland noch hätte erwarten können, wenn der piötzliche Tod ihn nicht aus der Arbeit herausgerissen hätte.

Peter Rohland stand eigentlich noch ganz am Anfang seines Schaffens, denn er entschloß sich erst relativ spät zu singen, und auch dann bedurfte es einer Zeit, bis er inhaltlich und stilistisch zu dem fand, was er in den letzten drei Jahren seines Lebens dem Publikum vortrug. Im Grunde begann er erst in den letzten Monaten die Früchte seiner Arbeit und einer ständigen inneren Auseinandersetzung mit dem Sujet zu ernten.

Er wurde 1933 in Berlin geboren, verbrachte seine Jugend in der Umgebung von Stuttgart, wo die Jugendbewegung einen großen Einfluß auf ihn nahm, so wie er auch ihr eine Prägung gab. Hier lernte er nicht nur Gitarre spielen und ausländische Folklore kennen, sondern er schrieb auch selbst einige Lieder. Gewissermaßen als Reminiszenz aus dieser Zeit erscheint seine erste bei Thorofon erschienene Platte „Vertaut am Abendstern“.

Im Februar 1963 schließlich trat er mit einem abendfüllenden Programm jiddischer Lieder in Berlin auf. Der Abend war ein großer Erfolg und obwohl Peter Rohland vorher nie Jiddisch im Original gehört hatte, war die Stimmung der Lieder in Darbietung und Arrangement überraschend gut getroffen, wie wir später feststellten. In der folgenden Zeit wurde das Programm weiter ausgebaut und ständig mit neuen Liedern bereichert, eine kleine Platte wurde bei Thorofon herausgegeben. Im Sommer machte er eine Tournee in West-Deutschland, die mit einem Auftritt im Düsseldorfer Kommödchen endete.

Gleich von Beginn des jiddischen Programms an und später bei den Liedern der 48er Revolution, wurde Peter Rohland immer wieder die Frage gestellt, warum er gerade diese Lieder sänge und ob er damit ein Stück Vergangenheit bewältigen wolle? Er gab darauf die für seine ganze Einstellung zur Kunst typische Antwort: „Zuerst singe ich ein Lied, weil es mir gefällt und ich deshalb das Bedürfnis habe, es zu singen. Wenn ich darüber hinaus merke, daß das Lied auch einen Einfluß auf das Bewußtsein meiner Zuhörer hat, so bejahe ich das und bin über diesen Nebeneffekt froh.“

Ich glaube, dieser Satz verrät ein klares Bekenntnis zu dem Grundsatz, daß der Künstler nur der Kunst verpflichtet sein darf und keinem wie auch immer gearteten Programm. Peter Rohland war viel zu sehr Sänger, als daß er nicht primär vom Musikalischen her an seine Lieder herangegangen wäre. Es ist deshalb ein besonderer Glücksfall, daß er mehr als nur musikalischen Einfluß auf sein Publikum nahm.

Die Beschäftigung mit dem jiddischen Liedgut, die er mit außerordentlicher Gründlichkeit betrieb, zeigte, was für ein Reichtum hier noch verborgen war. Es hätten sich noch Programme mit speziellerem Charakter wie zum Beispiel Ghetto- und Partisanenlieder, Lieder von Itzig Manger und Chassidische Lieder zusammenstellen lassen. Obgleich das Jiddische sehr in Mode gekommen ist, suchte Peter Rohlands engagierte Art, jiddisch zu singen, frei von allen billigen Effekten, ihres gleichen.

Joseph Wulf sagte darüber einmal in einer Berliner Zeitung: „So vollendet vorgetragen, habe ich nur selten jiddische Lieder gehört; auch in New York, wo mehr Juden leben als in Israel, singt man sie nicht besser.“

Neben den jiddischen Liedern nahm Peter Rohland noch zwei Programme in Angriff: Die Landstreicher-Lieder und die Villon-Lieder. Bei beiden Themenkreisen herrschen zwei Grundstimmungen vor, die das Programm gewissermaßen antipodisch einschließen. Auf der einen Seite Humor und unbändige Lebenslust und das Erlebnis einer absoluten Freiheit vom Ballast bürgerlichen Lebens, auf der anderen Seite die bittere Klage über das eigene Elend und die Unbarmherzigkeit der Gesellschaft. In dieser den Programmen innewohnenden Spannung lag vielleicht die auch über das einzelne Lied hinausgehende Wirkung und verhinderte ein Abgleiten in romantische Schwärmerei und Sentimentalität.

Das Landstreicher-Programm stellte er sehr bald einem Berliner Publikum vor, während es zur ersten Aufführung seiner Villon-Lieder jetzt im Mai nicht mehr kommen sollte. Für die Landstreicher-Lieder hatte er wiederum große Mühe zur Erforschung der Welt der Landstreicher aufgewendet. Er suchte in Bibliotheken, Liederbüchern und Dokumenten und nahm Lieder direkt von Landstreichern aus Bethel oder sonstwo in Deutschland auf Band auf. Er fand noch eine Menge unbearbeitetes Material, das auf eine Veröffentlichung geradezu wartete.

Die Beschäftigung mit den Liedern der 48er Revolution begann nicht anders als die mit den Liedern seiner anderen Programme: Die spontane Begeisterung an einigen zufällig gefundenen Liedern ließ ihn nach immer mehr Material und Liedern suchen. Er verstand es ausgezeichnet, diese Revolutionslieder wieder zum Leben zu erwecken. Zum Teil schrieb er, wenn nötig, selbst die Melodien, schwungvoll und ganz im revolutionären Geist dieser Texte. Ein unvergessener Eindruck war es, wie er sein Programm an der Freien Universität im Theatersaal zum ersten Mal einem Publikum vorstellte. Wahrscheinlich fand er kein dankbareres Publikum als dieses für diese Lieder. Hatte die Berliner Studentenschaft doch gerade in diesen Tagen den Zusammenstoß mit einer autoritären Reaktion erfahren müssen. Die wenig bekannten Lieder und die originelle Interpretation rissen das Publikum mit und es gab bei mehreren Liedern Zwischenbeifall.

In der kurzen Zeit von nur drei Jahren hat Peter Rohland die Welt des Chansons und der Folklore wie kaum ein anderer in Deutschland bereichert. Eine Fülle von schönen und bekannten Liedern hat er mit seiner ausdrucksstarken Stimme einem größeren Publikum nahegebracht. Durch seine klare, gedankliche Konzeption, die sich auch in seinen Einführungen zeigte, regte er seine Zuhörer über den ästhetischen Genuß hinaus zum Nachdenken an. Die Impulse, die er gegeben hatte, werden, so darf man hoffen, weiterwirken, und seine Vorstellungen über das Singen deutscher Volkslieder – die einzigen, die meiner Meinung nach praktikabel sind – werden Anstoß zu weiterer Diskussion geben. Er wollte deutsche Lieder nicht singen aus Gründen einer verstaubten Volkstumspflege, sondern weil er beim Singen ausländischer Lieder – so gut er sie auch gesungen hat – die Grenze sah, die einem Interpreten fremdsprachiger Folklore gesetzt ist. Auch bei dieser Entscheidung zeigte sich sein echtes Engagement in künstlerischen Dingen und gleichzeitig seine Sicherheit im Geschmack. Eine spontane Begeisterungsfähigkeit, zu der er in bewundernswerter Weise fähig war, ließ ihn seine Lieder gestalten und sein für alle Schattierungen des Humors offenes Naturell gab seinem Vortrag diese seltsame Mischung aus Engagement und Distanz.

Es sind nicht unsere Worte, es sind seine mitreißenden Lieder, die ihn seiner Nachwelt unvergessen machen werden!

Hanno Botsch


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