Jour fixe mit Gerd Schinkel: Phil Ochs – der Orpheus mit dem Januskopf

An Pfingsten 1968 hat Phil Ochs auf dem fünften Waldeckfestival „Chanson Folklore International“ auf die Burg Waldeck gesungen. Vier Jahrzehnte nach seinen einzigen Konzerten in Deutschland ist dies ein Anlass, sich an ihn zu erinnern. Am

Phil Ochs, Waldeck 1966 - Foto: Schiffler

Phil Ochs, Waldeck 1966 – Foto: Schiffler

Samstag, 7. Juni 08, um 20 Uhr

stellt Gerd Schinkel auf der Waldeck sein Phil-Ochs-Portrait-Programm vor.

Im Programmheft des 68er Waldeck-Festivals wurde Phil Ochs vor vierzig Jahren so vorgestellt:

Phil Ochs wurde 1940 in El Paso/Texas geboren. Er studierte in Ohio Journalistik, merkte aber bald, dass er aufgrund der amerikanischen Tabus nicht das veröffentlichen konnte, was er dachte. Er entwickelte sich zum politisch wachsamen, zornigen jungen Mann. Durch eine Wette bei der Wahl J. F. Kennedys zum Präsidenten der USA gewann Ochs eine Gitarre. Er schrieb und textete satirisch-aggressive Verse und Lieder, die von den jungen Coffee-House-Sängern aufgegriffen wurden und sich schnell verbreiteten. Seine Songs setzten sich mit der Kuba-Krise, dem schmutzigen Krieg in Vietnam, dem Militarismus, der Bürgerrechtsbewegung, den Gewerkschaften und Parteien auseinander.
Es ist keine überspitzte Polemik, keine Effekthascherei in seinen Liedern. Sie fordern zum Nachdenken, zum Gebrauch seines eigenen Verstandes auf. Phil Ochs begann als Protestsänger, aber seine letzte LP (Pleasures of The Harbor) zeigt, dass er als singender Journalist zu einem Exponenten der Untergrund-Musik wurde. Seine Melodien sind sehr poppig geworden, während die Texte immer noch Missstände aufdecken und unnachgiebig die ‚Große Gesellschaft’ attackieren.“

Phil Ochs war einer der wichtigsten „Liedermacher“ der USA. Anfang der sechziger Jahre haben er und andere alte und junge Folksänger, vor allem in New York, nicht nur neue kämpferische Lieder geschrieben und gesungen, sondern sich auch in sozialen Bewegungen engagiert. Beim Newport-Folkfestival 1964 war Bob Dylan die Rolle des singenden Protest-Gurus leid und griff zur E-Gitarre. Phil Ochs beanspruchte als Kronprinz, dem auch niemand den Anspruch streitig machte, den nun verwaisten Thron als „King of Protest“ – doch den hatte Dylan nicht nur geräumt, sondern gleich mitgenommen. Rastlos hetzte Ochs hin und her zwischen Solidaritätskonzerten und politischen Aktionen, getrieben von der Idee, mit Liedern die Welt zu verbessern, aber auch in der Hoffnung auf einen kommerziellen Erfolg, wie ihn Dylan schon erzielt hatte. Warum hat es ihn mit eigenen, noch dazu politischen Liedern auf die Bühne gezogen, um von dort aus die Welt zu verändern – bei gleichzeitiger, illusorischer Hoffnung auf kommerziellen Erfolg? War es Geltungsdrang oder nur Mitteilungsbedürfnis, Eitelkeit, gar Fanatismus oder Missionseifer? Seine Biographie sagt dazu wenig.

Als der 27-jährige Phil Ochs 1968 zu den Konzerten in Deutschland eingeladen wurde, hatte der Protest der linken Studenten hierzulande seine ersten heißen Phasen hinter sich. Ein Jahr vorher war in Berlin bei den Demonstrationen gegen den Schah von Persien der Student Benno Ohnesorg erschossen worden, und an Gründonnerstag 1968 fielen die Schüsse auf Rudi Dutschke. In dieses aufgeheizte gesellschaftliche Klima kam mit Phil Ochs, der seine engagierten Lieder bereits auf fünf LPs veröffentlicht hatte, der politischste der amerikanischen „singer-songwriter“ nach Deutschland. Er verdiente nicht schlecht, aber die große Karriere war ihm noch nicht vergönnt. Seine „journalistische“ Phase als „topical songwriter“ glaubte er hinter sich, hatte nun neben politischen Hoffnungen auch künstlerischen Ehrgeiz.

Etwa eine Woche vor seinem Auftritt in Deutschland aber riss ihn die politische Realität aus seinen Träumen: Robert Kennedy, der Phil als Wahlhelfer hatte gewinnen können, war ermordet worden. Als nach dem Parteitag der Demokraten im August in Chicago Hubert Humphrey Präsidentschaftskandidat wurde – und erst recht, nachdem dieser die Wahl gegen Nixon verlor –, blieb Phil eher nur noch ein Getriebener seiner eigenen Träume von einer besseren Welt, als dass er noch aktiv auf Dauer dafür hätte kämpfen können. Immer häufiger versank er in Resignation, Depressionen – und im Alkohol.

In den anderthalb Jahrzehnten, seit er 1960 in Ohio seine ersten Auftritte hatte bis 1976 verlief das Leben von Phil Ochs in extremen Wellen, verstärkt durch Erfolge und Rückschläge – persönliche wie politische, die er wiederum nahezu persönlich nahm – sowie durch Depressionen und Alkoholismus, bis es schließlich in Schizophrenie, Obdachlosigkeit und Suizid endete. Am Freitag, dem 9. April 1976, als er gerade wieder stabilisiert schien, nahm Phil Ochs im Alter von fünfunddreißig Jahren im Haus seiner Schwester Sonny, nicht weit von New York City den Strick. Zehn Jahre vorher hatte am Ende einer Live-LP mit dem Titel „Phil Ochs in Concert“ ein Lied gestanden, das poetisch, aber klar beschrieb, warum es sich für einen engagierten Menschen zu leben lohnt. „When I’m Gone“ ist ein eindringliches Plädoyer gegen Mutlosigkeit und Resignation. Zehn Jahre später war es ihm selbst nicht mehr möglich, daraus Kraft zu schöpfen…

Heute machen Konservative die „Achtundsechziger“ speziell in Deutschland gerne für einen angeblichen „Anti-Amerikanismus“ hierzulande verantwortlich. Dies ignoriert Einflüsse, die in den ersten Nachkriegs-Jahrzehnten von den regierungskritischen sozialen Bewegungen in den USA selbst ausgegangen sind. Phil Ochs war in einer entscheidenden Phase dieser sozialen Bewegungen einer ihrer profiliertesten Sprecher. Und er hat ihr auch eine Singstimme gegeben.

In der deutschen Folkszene haben sich nur wenige Künstler von Phil Ochs inspirieren lassen. Walter Mossmann beispielsweise hat mit einigen Ochs-Melodien eigene Texte transportiert. Kaum jemand hat sich aber hierzulande intensiver mit Phil Ochs auseinandergesetzt als Gerd Schinkel. Er hat mehr als fünfzig Ochs-Songs in die deutsche Sprache übersetzt oder in deutsche politische Zusammenhänge übertragen, um so ihren Charakter als topical songs zu wahren: mit einer Aussage von aktueller Bedeutung, früher, oder sogar bis heute. Gerd Schinkel porträtiert Phil Ochs und sucht auf sehr persönliche Weise in den Liedern des Künstlers nach Antworten auf Fragen, die sich aus dessen Biographie stellen. Internet: http://www.gerdschinkel.de/EssayOchs.htm, & http://web.cecs.pdx.edu/~trent/ochs/.

Gerd Schinkel schreibt seit Anfang der siebziger Jahre eigene Lieder und übersetzt und überträgt Songs anderer Singer/Songwriter. Er war Mitbegründer der Bonner Polit-Folk-Kombo „Saitenwind“, die Ende der siebziger Jahre auch gelegentlich Mossmann musikalisch zur Seite stand, und tritt heute meist solo auf. Er ist – anders als Phil Ochs – politischer Journalist geworden und seit Jahrzehnten Hörfunkredakteur. Als nebenberuflicher Liedermacher gibt er Konzerte und hat mittlerweile mit eigenen Songs mehr als zehn CDs für Erwachsene und fünf für Kinder eingespielt und mehr als zwanzig CDs mit Übertragungen bzw. Übersetzungen. Die Themen seiner Lieder zeigen, dass sich seine Lebenswirklichkeit im Alltag kaum von der anderer Zeitgenossen unterscheidet – mit einer Ausnahme, über die er 2005 ein Buch geschrieben hat: „Bin ich ihr ähnlich?“ handelt von der erfolgreichen Suche seiner Adoptivtochter Anneli nach ihren leiblichen Eltern in Südkorea. Gerd Schinkel lebt in Köln und gibt mit hochkarätigen Gastkünstlern für ein interessiertes Publikum regelmäßig exquisite Hauskonzerte in seinem Wohnzimmer – der „Besenkammer“.

Internet: www.gerdschinkel.de

(aus: KÖPFCHEN 1/2008, Seite 4ff.)


Gerd Schinkels Fragen an Phil Ochs

Bound for Glory

Das Leben des amerikanischen Liedermachers Phil Ochs wurde bereits im letzten Köpfchenskizziert. Lebendig wurde seine Person und Bedeutung einem kleinen, aber interessierten Publikum beim Jour fixe, als Gerd Schinkel ihn und seine Lieder vorstellte. Gerd Schinkel, der von dem Protestsänger von Anfang an fasziniert war – von seiner Stimme, seiner Musik und seiner Poesie – hat seine Annäherung an dessen Werk und Schicksal zu einem dreistündigen „Porträt-Programm“ verdichtet.

Gerd Schinkel, selbst Sänger, Liedermacher und Veranstalter von Hauskonzerten1, der sich selbst sehr differenziert auf seinen Gitarren begleitet, geht die Präsentation auf eine faszinierende Art und Weise an. Er singt Phil-Ochs-Lieder in seiner eigenen Übersetzung bzw. Übertragung. Letzteres gilt vor allem für die für den Protest-Singer charakteristischen „topical songs“: Wenn der amerikanische Hintergrund eines dieser Lieder hierzulande unbekannt ist, macht Schinkel zur Ochs-Melodie einen eigenen Text, dessen „topic“ er der damaligen bundesrepublikanischen Wirklichkeit entnimmt, wie zum Beispiel bei dem Lied „Ablehnungsbescheid“, einem Lied über die Berufsverbote der siebziger Jahre. Er scheut sich auch nicht, Bezüge zur deutschen Gegenwart in seine Übertragungen einzuflechten, so in dem Lied „Willkommen“, das von asylsuchenden Flüchtlingen handelt. Gerd Schinkel stuft solche Lieder als „aktuelle Lieder zu zeitlosen politischen Themen“ ein.

Eingeleitet werden die Lieder durch Schinkels „Fragen ohne Antworten“, die er an den toten Liedermacher richtet – Fragen, die Erklärungen suchen für das allzu frühe Scheitern eines außergewöhnlich kreativen Talents. Lag es an seinem unsteten Charakter? War es Ehrgeiz, ungestillter Hunger nach immer mehr Anerkennung? Wurde er von Bob Dylan gemobbt?

Oft meint man aus diesen Fragen die desillusionierte Ironie eines Heinrich Heine herauszuhören:

  • „Meine Güte, warst Du naiv. Wie kann man denn einen Fernsehboykott organisieren und trotzdem noch darauf hoffen, dass man in einer Fernsehshow vor die Kamera geholt wird…“
  • „Der Schlüssel zum kommerziellen Erfolg, Phil – das hat Bob Dylan Dir doch gezeigt – der liegt im Nebel, genauer gesagt: im Unverbindlichen – Du musst eben Deine Texte verschlüsseln, also auf den Klartext verzichten.“

Auch kritsche Fragen spricht Gerd Schinkel an:

  • „Schließlich hast Du ja ‘ne Botschaft, eine „Message“, ein Anliegen. Dass Du auf diese Weise oft den Leuten, die sowieso schon Deiner Meinung waren, nur nach dem Munde gesungen hast, ist Dir nie aufgefallen, was? Hauptsache, ein klares Feindbild… Schwarz-weiß gemalt werden Konturen ja auch deutlicher.“
  • „ ‚Ich werde niemals mehr marschiern’ hast Du gesungen, mit 25 – gleichzeitig warst Du aber auch dagegen, dass Völker auf den Knien lagen, dass Gewalttäter über sie hinwegziehen konnten. Das ist doch ein Widerspruch… – einer von vielen.“

 

Da es sicherlich vielen im Publikum so ging wie mir, dass sie die ganze Fülle des gedanklichen Gehalts dieser Vorstellung nicht in vollem Umfang nachvollziehen konnten, ist es gut, dass Gerd Schinkel den ganzen Text auf seine Homepage gestellt hat, so dass man ihn in aller Ruhe nachlesen kann.

Es lohnt sich. Phil Ochs kann nicht mehr antworten. Aber die Fragen bleiben aktuell.

GMP

1 www.gerdschinkel.de. Dort auch Angaben zu seinen zahlreichen Veröffentlichungen. – Wer sich für Gerd und Martina Schinkels „Besenkammer-Konzerte“ interessiert, sei auch auf den Bericht im „Folker!“ 03.08, Seite 36, verwiesen.

(aus: KÖPFCHEN 2/2008, Seite 24f.)