Hai ઈ Topsy – Konzert und Ausstellung in Wiesbaden
Gedanken zum Konzert
Im Mittelpunkt der Veranstaltungen anlässlich der Präsentation eines Erinnerungsblattes zum Schicksal der jüdischen Familie Dr. Erich und Elli Frankl im Schaukasten am Michelsberg in Wiesbaden sowie der Eröffnung einer Ausstellung über das künstlerische Lebenswerk ihres Sohnes Heinrich (Hai) Frankl und seiner Frau Topsy im Aktiven Museum Spiegelgasse stand ein Konzert von Hai & Topsy im Pariser Hoftheater.
Der Andrang war so groß, dass einige Besucher standen. Nach dem Konzert mussten die Musiker gleich noch dreimal auf die Bühne. Nur das Mitgefühl mit dem strapazierten Ehepaar auf der Bühne, begleitet von der jungen Akkordeon-Spielerin Miriam Oldenburg, und somit der gebührende Anstand, ließ die vielen Gäste im Saal nicht begehrlich nach Zugaben klatschen und lauthals rufen. Und der Applaus galt nicht nur dem mutigen Auftritt, sondern auch der Leistung der beiden Folksänger.
Natürlich, Hai hört nicht mehr so gut wie früher und er spricht von Erinnerungslücken, aber während des Konzertes war davon nichts zu merken. Natürlich, Topsys Stimme ist nicht mehr so glockenhell wie in ihren jungen Jahren, aber sie ist glockenrein; sie ist gesund, kein bisschen gebrochen und natürlich nach wie vor solistisch ausgeprägt. Und Topsy meistert mit ihr noch immer – vielleicht mit ein bisschen mehr Anstrengung als früher, doch nie forciert – die Rachenlaute, welche Stimmkraft erfordern, und ihr Empfinden für klare Vokale und die Resonanz ist ungetrübt. Topsy hat sich – wie Hai übrigens auch – Singen als Profession selbst beigebracht, eine hohe Elastizität ihres Stimmorgans aufgebaut und so praxisnah all das, was zum Auftritt notwendig ist, erfahren, was andere vielfach nur (!) lernen und nicht erlernen, und es dann als lebenslange Dilettanten oft weder können oder gar beherrschen, noch erkennen, dass sie es eben nicht können. Sicher, die Befürchtung, jetzt zu alt und nicht mehr erwünscht zu sein, schürt zusätzlich Lampenfieber. Aber die Angst, in eine Depression zu verfallen, ist bei diesen Leistungen unbegründet.
Musik hat eine enge Beziehung zu Bewegung. Bewegung ist im Sinne von Rhythmus nicht nur Tanz. Die Gestik gehört ebenso dazu. Und Topsys Handbewegungen, ihr Gesichtsausdruck und ihre gefühlstiefe Artikulation, die die Lieder zusätzlich interpretieren, bekunden ihre Lebenserfahrung, Verständnis und Weisheit und runden für den Zuhörer das Gesamterlebnis ihres Vortrages ab.
Und die Ausstrahlung des Sängerpaares: zum Immer-Wieder-Erleben der Lieder, die sie vortragen, kommt noch die Lebenserfahrung, gepaart mit einer Herzensgüte, die man einfach spürt. Kurz, ein Hai-&-Topsy-Konzert hat neue Qualitäten erlangt.
Seit einigen Monaten hat jedermann die Möglichkeit, sich Hai & Topsy in jungen Jahren anzuhören.* Offizielle CDs sind natürlich bearbeitet und akustisch aufgepeppt. Aufzeichnungen, die noch in ihrer primitiven Form – wie gesungen und mitgeschnitten – aus der Burg-Waldeck-Festivalzeit der sechziger Jahre enthalten sind, zeigen klar die Entwicklung Hai & Topsys, die nie Halt gemacht hat. Damals mussten Topsy und Hai ständig an eigener Stimmbildung, instrumentaler Begleitung und Präsentation arbeiten, schon um bei der Konkurrenz mit anderen Interpreten mithalten und bestehen zu können. Qualität verlangten die Medien – Fernsehen und Plattenproduzenten –, sollte etwas gleichsam öffentlich, also veröffentlicht werden. Die vielen Möglichkeiten technischer Manipulation gab es damals auch noch nicht. Hai & Topsy schafften es mit eigenen Mitteln und kritischem Selbsturteil, gehobenen Ansprüchen voll zu genügen. Und in diesem lebenslangen Lernen liegt wohl auch der Schlüssel, dass Topsy noch heute – doch leider viel zu selten! – Begeisterung hervorruft.
Zur eigenen Sicherheit heuerten Hai & Topsy ihre wunderbare Spielerin der Handharmonika an – und eine Quetschkommode eignet sich natürlich auch vorzüglich für folkloristische Darbietungen. Miriam Oldenburg, die Hai als Tochter einer deutschen Jüdin im schwedischen Exil und eines schwedischen Vaters vorstellte, eröffnete denn auch mit einer Klezmer-Rhapsodie das Konzert. Hai und Topsy sangen dann fünf jiddische Lieder und Hai ein Lied von Werner Helwig, dem Hauspoeten von Burg Waldeck
Topsy trat am 21. Oktober 2007 in Wiesbaden in abendlicher Garderobe auf. Hai saß leger mit einem Pullover auf der Bühne. Das war kein Kontrast, sondern entsprach der Atmosphäre dieser Feier, die ein Treffen von Freunden darstellte – wie es in der Begrüßungsansprache anklang. Und die Matinee des Folklore-Duos strahlte Harmonie aus.
Stephan Rögner
Das Erinnerungsblatt für Elli und Erich Frankl
Im Zentrum von Wiesbaden, am Michelsberg, stand früher die größte Synagoge der Stadt. Kenner sagen, es war die schönste Synagoge Deutschlands. Sie wurde in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 angezündet und anschließend abgerissen. Nach dem Krieg wurde das Grundstück dem Verkehr geopfert.
Eine angemessene Gestaltung dieses Ortes ist nach zwanzigjähriger Überzeugungsarbeit engagierter Bürger in Planung; sie schließt die Errichtung eines Mahnmals ein, das die ungefähr 1200 Wiesbadener Mitbürger jüdischer Herkunft beim Namen nennt, die in der NS-Zeit deportiert und ermordet wurden. Vorläufig steht dort eine Vitrine mit einer Ausstellung von „Erinnerungsblättern“, in denen der Opfer namentlich gedacht wird.*
Am 20. Oktober 2007 ist dort in Anwesenheit von Hai und Topsy ein Erinnerungsblatt für Elli und Erich Frankl, die Eltern von Hai Frankl, ausgestellt worden.
Das Aktive Museum Spiegelgasse
Die Aufwertung des historischen Ortes am Michelsberg geht auf eine der Initiativen zurück, die der Verein „Aktives Museum Spiegelgasse für Deutsch-Jüdische Geschichte in Wiesbaden e.V.“ (AMS) ergriffen hatte. In dessen Räumen fand am 21. Oktober 07 das Konzert von Hai & Topsy und vom 21. 10. bis zum 22. 12. 2007 die ihnen gewidmete Ausstellung statt.
Der Verein wurde 1988 gegründet; er ist entstanden aus einer Bürgerinitiative, die mit dem Aufruf „Rettet die Spiegelgasse“ angetreten war, das marode Haus Spiegelgasse 11 zu erhalten. Spiegelgasse 9 und 11 beherbergten im 18. und frühen 19. Jahrhundert ein jüdisches Badehotel, die Rabbinerwohnung , einen Bet-Raum und lange Zeit das rituelle Bad der Juden, die Mikwe. Heute befinden sich in Haus Nr. 11 Ausstellungsräume, in Haus Nr. 9 das „Pariser Hoftheater“ und ein Café und in Haus Nr. 7 Büro, Archiv und Bibliothek des Vereins.
Schwerpunkt des Vereins, der das Museum auf ehrenamtlicher Basis betreibt, ist es, das deutsch-jüdische Erbe als Teil gemeinsamer Kultur bewusst und Geschichte öffentlich sichtbar zu machen. „Neue Formen der öffentlichen Kommunikation werden gesucht und mit geeigneten Kooperationspartnern entwickelt. Dabei entstehen neue Konzepte der Präsentation und der Vermittlung für verschiedene Zielgruppen.“ – Schon von Anfang an waren Hai & Topsy mit den Initiatoren in Kontakt und gaben in der Folge mehrmals in Wiesbaden Konzerte.
Die Matinee zur Ausstellung
Bei der Eröffnungsveranstaltung für die Ausstellung „Hai & Topsy – Bilder, Lieder und Geschichten“ im „Pariser Hoftheater“ in der Spiegelgasse 9 begrüßte Lothar Bembenek die Gäste im Namen des Aktiven Museums und gratulierte Topsy, die am Tag zuvor ihren Geburtstag gefeiert hatte. Er umriss Leben und Bedeutung von Hai & Topsy und betonte die enge Beziehung von Hai Frankl zu Wiesbaden, dessen Elternhaus in Wiesbaden gestanden hatte, der dort zur Schule gegangen war und sich dort einer Gruppe des Nerother Wandervogel angeschlossen hatte.
Nachdem es in den dreißiger Jahren, vor allem nach den Pogromen und dem Anschluss Oesterreichs für Bürger jüdischer Herkunft in Deutschland immer gefährlicher geworden war, gelang es dem Neunzehnjährigen 1939 mit Hilfe seiner Nerother-Freunde und der Quäker – sein Vater war Quäker – mit knapper Not, der Verfolgung zu entkommen. Drei Tage vor Kriegsausbruch konnte er nach Schweden emigrieren. Alle Versuche, seine Eltern Erich und Elli Frankl ebenfalls zu retten, waren hingegen vergeblich. Sie wurden 1942 zusammen mit 369 anderen jüdischen Wiesbadenern ins KZ deportiert. Ihr Sohn hat nie wieder etwas von ihnen gehört. Lothar Bembenek hofft, dass dem Erinnerungsblatt für die Eltern Frankl auf dem Michelsberg bald ein „Stolperstein“ folgen wird.
Hais Briefwechsel aus seinem schwedischen Exil mit seinen Eltern bis zum bitteren Ende hat Hai dem Aktiven Museum Spiegelgasse zur Verfügung gestellt. Er war in der Frankl-Ausstellung in der Spiegelgasse 11 zu sehen. – Die Bibliothek der Eltern, die ein Spiegel der Kultur des deutschsprachigen Bürgertums jüdischer Herkunft ist und zum Teil wertvolle und schöne Ausgaben seiner Zeit enthält, war während des Krieges von Hais Freund aus der Schulzeit, Erich Brand – der bei der Ausstellungs-Eröffnung zugegen war – versteckt und später an Hai zurückgegeben worden. Nun hat Hai auch diese Bibliothek dem Aktiven Museum übergeben.
Bembenek würdigte Hai und Topsy als Mitbegründer der Liedermacherszene in Deutschland – er selbst habe bereits im Jahr 1964 als Schüler Hai & Topsy gehört – und hob hervor, dass sie vor allem auch mit ihren jiddischen Liedern und Liederbüchern international bekannt geworden sind.
Dann trat das Designer-Ehepaar Anne Bolland-Brück und Edgar Brück**, die Initiatoren und Macher der Ausstellung, ans Mikrofon und „überreichten“ dieselbe den beiden Künstlern. Als Motto hatten sie das schwedische Zeichen ઈ für „och“ (und) gewählt, um anzudeuten, welch bemerkenswerte Vielfalt an Themen es darzustellen galt. Es ging nicht nur um die Malerei von Hai, sondern auch um die Arbeiten von Topsy, nicht nur um die Lieder und Bücher der beiden, sondern auch um Geschichte, um Briefe, ઈ, ઈ, ઈ … (Hai meinte, den schwedischen Wortschatz des Publikums mit dem Wort „Skol!“ erweitern zu können. Weit gefehlt!)
Um dem Publikum einen Eindruck vom heutigen Leben von Topsy und Hai in Schweden zu geben, führte Sohn Joscha Brück einen von ihm gedrehten und mit Liebe und Witz geschnittenen Film über den Alltag auf ihrem Stocksunder Anwesen vor: Ein schmuckes Schwedenhaus, von einem Garten umringt, in einer von Wasser umspülten Siedlung; Hai bei der Arbeit in seinem Atelier, Topsy bei der Gartenarbeit, beide in der Küche und beim Üben mit Miriam Oldenburg, die sie auf dem Akkordeon begleitet. Acht Stunden Aufnahmen, bei Besuchen der Familie Bolland-Brück in Stocksund gedreht, auf fünf Minuten Film „eingedampft“!
Dann ergriff Hai das Wort. Im Rückblick auf seine Wiesbadener Jahre nannte er die Namen seiner alten Freunde aus Schule und Nerother Wandervogel: Gerhard Wüstenfeld (Floh), Herbert Nieder (Zick), beide im Krieg gefallen, und den im Publikum anwesenden Erich Brand. Als 1933 alle Bünde verboten wurden, reihte sich die Spielschar der Dreizehnjährigen geschlossen in die HJ ein – in dem naiven Glauben, diese „kulturell zersetzen“ zu können. So sangen die Jungen am Biebricher Schloss in HJ-Uniform Brechtlieder wie „Weil unser Land zerfressen ist“ und – ernteten beim Publikum begeisterten Applaus! Es dauerte allerdings nicht lange, und sie flogen, als „Kulturbolschewisten“ beschimpft, aus der HJ. – Hai berichtete auch von seiner damaligen Begegnung mit Helwig in seinem Elternhaus und in der Jurte, von Pitl Rauschenberger vom George-Kreis, der ihm ein Affidavit für die USA verschaffte – die Voraussetzung für seine Einreise-Erlaubnis nach Schweden.***
Von der Wehmut sprach er, die ihn beim Anblick des Wiesbadener Bahnhofs ergreift, von dem zwei für ihn schicksalhafte Züge abgefahren sind: derjenige, der ihn am 26. August 1939 nach Schweden in Sicherheit brachte, und der andere, der am 10. Juni 1942 seine Eltern in die Vernichtung abtransportierte…
Zum Konzert, das dann Hai & Topsy zusammen mit der Akkordeonistin Miriam Oldenburg gaben, hat Stephan Rögner seine Eindrücke niedergeschrieben (siehe oben).
Die Ausstellung
Nach einer Erfrischung im Theater-Café ging’s in die Spiegelgasse 11, um die Ausstellung zu besichtigen. Auf zwei Stockwerken gab es Vieles und Vielfältiges zu betrachten, zu hören und zu lesen:
- Die Bilder: Es ist die erste gemeinsame Werkschau von Hai und Topsy – und die erste in Deutschland. Obwohl die Musik zu ihrem Beruf wurde, haben beide nie aufgehört, sich auch der bildenden Kunst zu widmen: Hai, für den „das Malen Therapie“ ist, vorwiegend Gemälde und Topsy Zeichnungen. Hai malt vorwiegend abstrakt, in kräftigen Farben; häufig beherrscht eine bedrohlich übergroße, düstere (Sonnen-) Scheibe das Bild.
Auf ganz andere Weise wirken Topsys Zeichnungen und Vignetten. Sie sind kleiner, zierlich, lebendig und symbolkräftig.
Für die überraschend wirkungsvolle „Hängung“ von Hais Gemälden hatten sich die Bolland-Brücks vom Franklschen Atelier in Stocksund inspirieren lassen, wo sich die Fülle der Arbeiten um die Staffelei herum stapeln. - Die Lieder: Die LPs, CDs, Liederbücher und Plakate von Hai & Topsy, sogar eine Hörstation mit CDs und ein Gerät mit Videos von Auftritten der beiden. Der Schwerpunkt lag hier naturgemäß auf den jiddischen Liedern. Auch Bücher, die die beiden zu Gesang und Bildern inspirierten, waren vertreten, so „Hawa Nashira“, das neu aufgelegte Liederbuch der deutschsprachigen Juden vor der Shoa (siehe Köpfchen 2/02, Seite 11ff.), und das Katzenelson-Buch von Wolf Biermann1.
- Die Lebensgeschichte der Familie Frankl; in deren Zentrum der Briefwechsel zwischen Hai im Exil und seinen verfolgten Eltern in Wiesbaden, der nach einem verzweifelten Hilferuf der Mutter vom Mai 1942 mit der Deportation der Eltern ein abruptes Ende fand.
Die Ausstellung ist nicht nur inhaltlich reichhaltig und informativ, sondern auch umsichtig und mit Sorgfalt ausgestattet und ausgeleuchtet. Auch zeugten die originelle Anordnung der Exponate und die mit einem neuartigen Verfahren auf Holz aufgedruckten Informationstafeln von großem Einfallsreichtum bei der Gestaltung. So gab es im Empfangsraum die von Klaus Mohri angefertigte „erste und einzige ઈ-Gitarre“ und in dem Raum, in dem man Hai und Topsy per Hör- und Videostation live erleben konnte, eine ઈ-förmige Sitzbank. Diese fand übrigens an diesem Tag noch eine weitere Verwendung. Von dort ertönten bekannte Lieder: Das frischgebackene ABW-Mitglied Jan Koch hatte die Gitarre ergriffen, dazu gesellte sich Miriam mit dem Akkordeon, und auch Dirk Hespers trug zum Ständchen bei.
Das bemerkenswerte Ergebnis der Bemühungen der Bolland-Brücks sollte nicht bei einem einzigen Ausstellungstermin sein Bewenden haben. Es kam die Idee auf, die Ausstellung in den Hunsrück zu holen und in geeigneter Form an Pfingsten auf der Waldeck zu zeigen.
Hai bedankte sich bei den Ausstellungsmachern und gab seiner Bewunderung Ausdruck, indem er rief: „Die Beiden müssen verrückt sein, sonst hätten sie sich so viel Arbeit nicht gemacht!“
GMP
(aus: KÖPFCHEN 4/2007, Seite 1 und 17ff.)