WalddeckKulturStipendium 2025: Erfahrungsbericht Paula Linke

Im Folgenden der Erfahrungsbericht von Paula Linke, die als Stipendiatin des WaldeckKulturStipendiums im April 2025 auf Burg Waldeck war.

Paula Linke: Waldeck-Tagebuch (eine Art Erfahrungsbericht)

Durch das Kulturstipendium der Burg Waldeck bekam ich im April 2025 die Möglichkeit, zwei Wochen im Hunsrück zu verbringen, in einem Hügelland, malerisch gelegen zwischen Mosel und Rhein, mitten in der herrlichsten Pampa.

Zwei Wochen, die mir vor allem eines schenkten: Durchzuatmen, Loszulassen, – fern von Schreibtisch und lauter Großstadt dem Erblühen der Welt zuzusehen und selbst ein bisschen mitwachsen zu dürfen. Darüber hinaus schenkten sie mir unvergessliche Tage zwischen Burgruine und Arbeitsgemeinschaft, eine beglückende Liederwerkstatt mit schönen Menschen, einen echten „Sonntag“ und vier Lieder. Aber von vorn: Im Folgenden kann man ein bisschen im „Waldeck-Tagebuch“ nachlesen, wie das alles war. Viel Freunde beim Lesen!

Foto: Christin Goy

Tag 1: Ankunft

Da bin ich nun, Burg Waldeck zwei Wochen lang. Zwei Wochen weit weg von der Stadt, zurück geworfen auf die eigenen Gedanken sollen es sein. Schreiben soll man, arbeiten, tatsächlich einfach mal nur an der Kunst arbeiten. Ich bin gespannt, ob mir das gelingt. Noch fühlt sich alles unwirklich an und fremd. Das Zimmer, das Haus, der Blick auf die Jugendherberge, der von der Abendsonne durchflutete Wald vor meinem Fenster. Obwohl, der Wald. Ich öffne das Fenster noch einmal, um die Luft und die Vogel zu hören. Draußen zwitschert es und sonst hört man nichts. Ich höre das Klappern der Tasten auf dem Laptop, einen Raben, kleine, enthusiastische Singvögel. Nach zehn Stunden Fahrt und sich verändernden Landschaften, dem Blick auf den Rhein, später auf die glitzernde Mosel, die Burgen zu allen Seiten, Gespräche mit Mitreisenden und Busfahrern, einem Spaziergang mit Hund und seiner FSJlerin, über sonnige Felder – „Nachmittags gehe ich immer hier oben lang, wegen des Lichts, Wald lieber am Morgen,“ sagte sie – , einem Blick in die Räume, die unsere Liederwerkstatt beherbergen werden, auf den Feuerplatz, an dem ich mir unsere abendlichen Lagerfeuer vorstelle, Auspacken der zwei Rucksäcke, fühlt sich dennoch alles ganz neu und aufregend an. Nur der kurze Moment auf der Terrasse, mit Blick in die Abendsonne, die Vögel, die Bäume, drüben das große Haus, dieser Moment sagte: Das wird schön. Das ist mein Lieblingsplatz.

Tag 3: Hier ist es ganz still

Heute morgen höre ich nur die Vögel, süße Singvögel auf Brautschau und irgendwo weiter hinten einen Specht, der bedächtig einen Baumstamm nach Futter abklopft. Der gestrige Abend war lang. Wir saßen zusammen in der Küche, vorher auf der Terrasse, die Abendsonne im Gesicht, zwischen uns eine Flasche Rotwein, wir redeten über dies und das. Lieder, Degenhardt, Reinhard Mey, Wader, Wecker. Wir redeten darüber, wie konkret wütende Lieder sein dürfen oder wie man Wut ausdrückt, ohne polemisch zu werden. Corona, Rechtsruck. Alles dabei, so ein Abend war das.

Der vorangegangene Tag war aufregend für mich gewesen. Man geht in die Natur, um zu denken, um sich selbst zu hören, aber natürlich hört man erst einmal die anderen, geht einkaufen, fährt stundenlang durch die herrliche Pampa, am Mittagstisch hört man den alltäglichen Vereinsquerelen zu, auch hier gibt es das. Dann hörte ich zu, über die Bündischen, die Pfadfinder, die Geschichte, die Herangehensweise an alte Lieder, am Abend war ich voller neuer Informationen und leicht überfordert. Und jetzt sitze ich heute morgen hier, mit Blick aus dem Fenster auf sonnenbeschienene Bäume, Laub vom Vorjahr, lausche den Vögeln und der Tastatur und der kleine Liedentwurf von gestern würde gern weitergeschrieben werden, aber auch die Sachen von zuhause wollen erledigt werden, emails, Rechnungen, Gemalisten, Sachberichte, all das wartet nicht darauf, dass ich fertig bin mit Lauschen.

Tag 4: ein guter Tag, um zufrieden zu sein

Der Kater hat beschlossen, dass es bei mir schön ist. Gestern saß er den ganzen Nachmittag neben mir auf der Treppe in der Sonne und schnurrte. Er knetete die Pfoten ins Schaffell, schloss die Augen, rieb den Kopf an meinem Bein und war’s zufrieden.

Gestern war ein guter Tag, um zufrieden zu sein. Zwar entstand kein Lied, jedoch eine Strophe. Dido kam vorbei, müde von der Arbeit, aber mit lieben Augen. Wir saßen zusammen auf dem Schaffell und sahen in die Weite. „Schön,“ sagte sie, „dass das Stipendium mit einer Liederwerkstatt kombiniert wird. Das belebt, das schafft Austausch und es entstehen Lieder mit Bezug zum Ort.“ Wir haben wundervolles Frühlingswetter für eine Liederwerkstatt.

Der Kaffee steht neben mir auf dem Schreibtisch, die Tasten klappern, draußen dröhnt ein wahrhaft ohrenbetäubendes Vogelkonzert. Nebenan brummt seit einer halben Stunde aller drei Minuten ein Wecker und bemüht sich verzweifelt, meinen Zimmernachbarn zum Aufstehen zu bewegen. Mein Zimmernachbar ist IT- und Nachtmensch. Das wird noch ein  Weilchen nix. Später kommen die anderen Liedermacher:innen aus allen Himmelrichtungen an. Ich bin sehr gespannt, wie das wird!

Tag 5: Liederwerkstatt-Beginn

Ich sitze auf der kleinen Treppe mit Blick auf die Sonne über dem Wald und lausche. Unter mir das Fell und neben mir der Kaffee. Vögel, hunderte von Vögeln, wie jeden Morgen. Und dann ein wahres Spechttheater: Ein Specht links im Tal, ein paar Minuten klopft er allein. Dann ein zweiter Specht, rechts im Tal, er klopft nun im Rhythmus mit dem anderen, immer in die Takte hinein, du ein Takt, ich ein Takt. Kurze Zeit später ein dritter, ein zarter, irgendwo im Tal rechts hinten. Dann klopft der Specht links für ein paar Minuten allein. In der Zwischenzeit kreuzt ein Flugzeug den Himmel, ein rotes Eichhorn klettert durch den Baum und verschwindet hinten im Garten. Klopf, Klopf Klopf. Das Tier rechts ist verstummt. Doch plötzlich der Kleine, der Zarte, ganz nah am Specht im linken Tal, er hat sich näher gepirscht, klopft sich vorsichtig dazu. Ein paar Mal klopfen sie gemeinsam. Dann wird es still.

Vorn neben der Wiese hat sich vor den Kaffeewagen eine der Liedermacherinnen ihre Yogamatte gelegt und grüßt die Sonne. Schön sieht das aus, ganz zart, bedacht und dankbar. Aus dem Schwabenhaus schlurft noch leicht verschlafen die nächste und blinzelt versonnen. Gestern saßen wir noch lange am Feuer, obwohl es nachts so kalt wurde. Die Gitarre ging herum und alle sangen ihre Lieder. Um uns herum schrien Käuzchen und über uns der klare Himmel und die Sterne (fast schon kitschig, wenn man das so schreibt, aber das ist hier wirklich so^^). Später am Morgen treffen wir uns, um Wünsche für die drei Tage auszutauschen, um gemeinsam zu schreiben und den kreativen Tag einzuläuten. Noch einen Moment sitze ich auf dem Fell und schlürfe meinen Kaffee. Dann stehe ich auf, schüttel die letzte Müdigkeit ab und beginne.

P.S.: Es gibt jetzt ein Minilied, das gestern entstanden ist. In der ersten Strophe geht es um einen Kater. War ja klar!^^

Foto: Christin Goy

Tag 8: Blick zurück auf die Liederwerkstatt

Ich sitze auf dem Fell auf der Treppe, das Gesicht in die Sonne gestreckt und atme tief die kühle Wiesenluft ein. Heute Vormittag sind die Liedermenschen abgereist, alle sahen glücklich und zufrieden aus, vielleicht enttäuscht darüber, bereits abreisen zu müssen.

Das waren intensive, schöne Tage voller Musik, Gespräche, Beisammensitzen, Wanderung, Vogelgezwitscher und Kennenlernen. Die Abende am Feuer mag ich immer besonders gern und auch dieses Mal waren diese Abende und die gemeinsamen Schreibstunden am Morgen für mich das schönste, bereicherndste: Das sich gegenseitige Öffnen, das Hineinlunsendürfen in die wunderschönen und merkwürdigen Hirnwindungen und Herzen der anderen, durch Texte und Musik.

Inzwischen ist bereits eine andere Gruppe angereist, hat sich im Säulenhaus einquartiert und jetzt liegen überall junge FSJler:innen wie Ostereier in der Wiese, allein und in Gruppen. Heute Abend kommt mich Stefan (Ebert) besuchen und bleibt ein, zwei Tage. Ich Blicke auf die Linde, die vor einer Woche nur zarte Knospen zeigte und deren grünes Laubwerk nun das Haupthaus verdeckt und warm in der Abendsonne leuchtet.

Tag 10: Gestern war Sonntag

Zumindest in meiner Welt war gestern ein Sonntag. Nachdem wir uns am Abend zuvor bis spät in die Nacht ganz viel erzählt hatten, schliefen Stefan und ich aus, rappelten uns gegen zehn aus den Betten und tranken schlürfend unseren Kaffee. Und ja, beide mussten wir noch ein paar Stunden an unsere Computer. Aber irgendwann klappte Stefan seinen zu und sagte: „So weit erst mal.“ Und ab da, spätestens ab da, war Sonntag. Noch einmal kletterten wir hinunter zum Baybach, den kleinen verwunschenen Pfad hinunter, der sich zwischen Anemonen, Scharbockskraut, Waldveilchen und roten Taubnesseln durch die hohen Bäume schlängelt, – an den Fels geschmiegt, auf dem obenauf die Burgruine sitzt. Hielten unten die Hände ins kühle, flache Wasser und mein Kinderherz begann schüchtern, runde, glitzernde Schieferplättchen aus dem Bachbett zu fischen, zu polieren und in der hohlen Hand klappern zu lassen. Manchmal verebbte das Gespräch, dann war plötzlich Stille, Waldstille mit gluckerndem Bach.

Dieses Mal nahmen wir den richtigen Weg wieder nach oben. Einen ziemlich abenteuerkitzligen, abschüssigen Hindernispfad, steil nach oben, direkt zwischen die überwucherten Mauern der Burgruine hinein. Und dann setzten wir uns an eine der Mauern in die Sonne, zogen die Pullover aus und die Schuhe, erzählten weiter, tauschten aus, Gedanken über Lieder, über Menschen, über das Leben und alles war ganz leicht, weil drumherum Sommer und innendrin Frühling war. Hinter uns schwirrten Hummeln die Mauern entlang und suchten nach einer geeigneten Höhle, Fliegen kreuzten ihre Flugbahn wie Düsenjets – niuunnnng! – und mein Kinderherz sammelte auf dem Platz flache Steine und legte daraus ein Muster auf die Wiese. Stundenlang sammelte es immer wieder und legte mehr Steine, ganz in Ruhe, neben dem Gespräch der Erwachsenen, baute es zufrieden vor sich hin und hätte wohl ewig so weiter machen können, in sich versunken, ganz mit sich und dieser Aufgabe beschäftigt. Da war sie. Und ich hatte sie schon so lang nicht mehr gesehen, so lang schon vermisst, mich davor gefürchtet, sie nie wieder zu sehen. Da hockte sie und kratzte mit einem Stock konzentriert Moos aus einem Stein, bis die Erwachsenen zum Aufbruch bliesen.

Durch die weiß blühenden, wild umsummten Schlehen hindurch betraten wir den Platz. FSJler ließen einen Football durch die Luft schwirren. Irgendwo saß jemand in einem Liegestuhl in der Sonne, die Bufdies beschnitten den riesigen Salbeibusch. Den Abend über spielten wir uns gegenseitig unsere neuen Lieder vor und freuten und bestärkten uns. Erst spät, da hatte die Sonne von weit weg schon nur noch einen schmalen, hellblauen Streifen erleuchtet, stieg Stefan ins Auto und fuhr zurück in die Stadt. Und beseelt von diesem schönen Tag sah ich ihm nach, suchte kurz nach meinem Kinderherz, doch das hatte sich zwischendurch schon längst ins Bett gekugelt. Aber das machte nichts. Es hatte sich kurz gezeigt, es war noch da und das allein reichte mir schon.

Tag 12: Ab jetzt entstehen jeden Tag Lieder.

Der Morgen verspricht einen ruhigen Tag. Dem Kleiber vor meinem Fenster ist es wurscht, ob er bei Sonne oder Wolken kopfüber am Baumstamm hängt, ich blinzle in das matte Licht und spüre: Bürotag. Morgen soll es schon wieder schöner werden.

Und da der Tag gestern nach all den Liebesliedern von Stefan ein eigenes hervorbrachte, ein Keimling noch, aber immerhin, kann der Tag heute von mir aus den Dingen gehören, die tagelang geduldig auf mich warteten, mir nicht im Nacken lagen, mich sein ließen, alle Nachrichten zurück hielten für den Moment, da ich Zeit habe mich ihnen zu widmen. Wohlan!

… ich liebe es! An Worten wie „wohlan“* merke ich, dass ich mich hier pudelwohl fühle!

Tag 13: Music Boy

Als ich vor ein paar Tagen mit meinem Kaffee in der Küche saß, den Blick durch den Raum schweifen ließ, – aus dem Fenster hinaus über die große Wiese zum in der Morgensonne leuchtenden Forsythienstrauch neben dem Säulenhaus und wieder hinein über all die an den Wänden hängenden Bildern von abendlichen Runden mit Vereinsmitgliedern, – blieb er schlussendlich an dem kleinen schwarzen Kofferradio in der Ecke hängen. Ein bisschen staubig, aber äußerst dekorativ hockt es dort, sieht dich mit seinen runden Augen erwartungsvoll an und wartet auf Arbeit. Silbern prangt da sein Name: Music Boy. Hätte ich mir für den Tag nicht das Aktualisieren der Website, sondern eh Kreatives Arbeiten vorgenommen, wäre das Lied niemals entstanden. So aber hatte sich gerade eben eine wundervolle Art der Prokrastination offenbart. Ich verschwand im Musikzimmer und innerhalb von einer Stunde war das Lied fertig.

Nun ist schon Samstag, mir verbleiben noch zwei süße Tage hier im Hunsrück und ich möchte noch so viel schaffen. Gleichzeitig will ich vor allem ganz viel in die Weite sehen und die zarten, grünen Blätter bewundern, die schönsten Blüten entdecken, den mutigsten Vögeln beim Zwitschern lauschen, die Waldpfade unter den Füßen spüren, die Sonne auf meiner Nase.

Würde ich ein regelmäßiges Leipzig-Tagebuch schreiben, stünden da nie so viele pathetische Sätze. Da klänge all das sehr viel pragmatischer und solche Lieder würden auch nicht entstehen zwischendurch. Deswegen danke ich diesem Ort, dass er mein Herz so hübsch weich und kitschig hat werden lassen. Das schaffen normalerweise nur Orte, an denen ich Urlaub mache. Arbeits-Urlaub auf der Burg Waldeck. Das war richtig schön!

Tag 14: Kurz vor der Abreise

Nun ist es also der letzte Tag hier im Grünen, bevor ich morgen all meine Siebensachen zusammen sammel und mich erst nach Stuttgart und dann nach München begebe. Vor meinem Fenster hämmert und schraubt es, Marijke hat begonnen, den Bauwagen zu renovieren. Es sieht demnach zwar immer noch idyllisch aus, klingt aber nach Abreise^^ Baulärm kann ich auch zuhause haben.

Nichtdestotrotz fällt mir der Abschied schwer, ich denke immer, ich hätte noch mehr schaffen können oder noch weniger schaffen können und stattdessen noch mehr ins Grüne gehen. Und dann fält mir ein, was ich alles erlebt habe und wieviele Stunden ich an der frischen Luft verbracht habe und gleichzeitig unendlich produktiv war in den Stunden, da es entweder dunkel oder bewölkt war oder zur Liederwerkstatt eh gerade alle anderen vor sich hin wurschtelten.

Und: Noch ist nicht aller Tage Abend, ich komme ja wieder! Erst im August zum Freakquenz-Festival und im kommenden Jahr für eine neue Liederwerkstatt. Und dann kann ich erneut der Natur beim Erwachen zusehen und Liedermenschen einen Raum bieten, in dem sie produktiv und entspannt arbeiten können, sowie ich in den letzten zwei Wochen. Herrlich!