am Samstag, 29. Januar 2011
„Der liebe Gott ist anti“, sagte verhalten in der ersten Reihe jemand, weil in der Kirche die Heizung ausgefallen war und das Konzert deshalb nun in der Vorhalle der Friedenskirche stattfinden musste.
„Jacky lässt uns Musik hören!“, mit diesen Worten begann Mitorganisator Joachim Watzlawick das Publikum in der restlos gefüllten Halle einzustimmen. Wer von den Anwesenden einen Bezug zur Waldeck habe, bitte er um ein Handzeichen. Schallendes Gelächter war die Antwort, als daraufhin viele Hände erhoben wurden. Und weiter fragend, woher man denn so komme, hörte man aus den vorderen Reihen die lebhafte Stimme einer Dame: „Ich komme aus Venedig!“ Als anschließend der Moderator Kai Engelke, Journalist und Krimi-Autor, sich die Frage stellte, „Wie packt man eine solche Aufgabe an, eher sachlich informierend oder verbindend emotional?“, wurde deutlich, dass es Neuland für ihn war und er sich erst an diese Aufgabe herantastete.
Er moderierte dann den Abend souverän mit einfühlsamen Kommentaren.
Zugunsten des Fördervereins Aktion Kunst und Kultur im Unterricht, kurz AKKU genannt, verzichteten alle Künstler auf ihr Honorar. Der vom Verein jährlich als Preis verliehene „Singende Clownskopf“ – mit roter Nase – schmückte als Plastik den Bühnenhintergrund. Des Weiteren wird „Musik macht stark“, eine ebenso sinnvolle und lobenswerte Initiative, unterstützt.
Von Beginn an war die Stimmung im Saal locker und entspannt, ganz einfach gut!
„Beginnen wir mit dem Saxophon“, leitete Kai Engelke das Konzert ein. „Dieses Instrument wurde von Adolph Sax 1848 erfunden und hat im Mundstück ein Blatt aus Holz. Das Saxophon ist aus dem gesamten Musikspektrum nicht mehr wegzudenken, sei es Blues, Soul oder Rock, Tanzmusik oder Pop oder symphonische Musik. Es ist stark und zart zugleich, laut und leise und kann tiefe Töne ziehen, die direkt in den Bauch gehen – ein herrliches Instrument!“
Den Anfang machten drei Zehnjährige aus der Musikschule Krefeld. „Wir sind ein Trio“, stellten sie sich vor: Olivia Noseck, Luka Winkelmann und Justus Hünike. Sie begannen mit einer für Saxophon bearbeiteten Mozart-Komposition. Anschließend spielten sie Beethovens Variationen dazu, und als Abschluss folgten modernere Stücke.
Das Publikum war begeistert und belohnte das junge Trio mit viel verdientem Beifall und Bravo-Rufen.
„Ich glaube an die heilende Kraft der Musik sowie die Kraft der Liebe. Beide haben kein Ende und kein Alter, wenn sie von Herzen kommen“, zitierte Kai Engelke die rumänische Sängerin Adina Romana aus Brasow (Kronstadt), die schon als Kind sang und vielfach mit Preisen ausgezeichnet wurde. „Sie wird romantische Lieder aus ihrer Heimat vortragen.“ Nach diesen einführenden Worten betrat sie elegant gekleidet die Bühne und informierte vorab, dass der vorgesehene Pianist ausgefallen und stattdessen der Kantor Hans-Jörg Böckeler eingesprungen sei, wofür sie ihm sehr dankbar sei. „Er hat mir damit mein Leben gerettet!“ Als sie nach einigen wunderschönen Volksliedern das bekannte Liebeslied „Memory“ aus dem Musical „Cats“ sang, waren viele der Zuhörer ergriffen. Sie schloss mit der rumänischen Romanze „Schließe deine Augen“, mit ihrer Stimme das Publikum verzaubernd.
„Unglaublich! So etwas gibt es nur in der Musik! Schließlich haben sich die beiden doch erst vor einigen Stunden kennengelernt“, kommentierte nach langem Beifall Kai Engelke.
Für Spannung und Überraschung sorgte im weiteren Verlauf „Multiphonic“, das als nächstes angesagte Saxophon-Quartett. Die von der renommierten städtischen Musikschule Krefeld geprägten, unter der Leitung des begnadeten Lehrers Laszlo Dömötör ausgebildeten jungen Musiker spielten zunächst ein Werk von Antonin Dvorak. Das für Saxophon umgeschriebene Stück zeichnete phantastische akustische Bilder in den Raum: fliegende Vögel, die flatternd, zwitschernd und spielend durch die Lüfte schwebten. Es folgten ein Tango, ein Klezmer und als weiterer Höhepunkt eine afrikanische Variation, bei der die typischen Bassläufe rhythmisch gegen die Melodien liefen, so dass so manche Zuhörer ihre Hüften nicht stillhalten konnten.
Das Publikum war einfach mitgerissen von Claudia Fruhen, Sopran- und Altsaxophon ebenso wie Salis Kurth, von Fabian Blümke, Tenorsaxophon, und Christian Prehn, Baritonsaxophon.
Der Beifall wollte nicht enden und wurde zu einem rhythmischen Klatschen. Beim einsetzenden Applaus hatten sich die Gesichtszüge der Vier entspannt zu einem zufriedenen sympathischen Lächeln. An einem Klezmer als Zugabe kamen sie nicht vorbei.
Nach der Pause betrat der Neuseeländer Mike Brosnan die Bühne und, augenscheinlich bescheiden, hinter ihm die Sängerin Heike Morbach aus dem Westerwald. Laut Kai Engelke vereine Mike Virtuosität und Ehrlichkeit miteinander, „jenseits von jeder Stromlinie“. Er selber sei Blues-Fan: „Ich mag raue Stimmen, vielleicht mit einem bisschen Bottleneck und Slide-Guitar. Mike ist führender Top-Roots/Americana-Sänger, Gitarrist und Komponist.“
Woraufhin eine unangemessen schroffe Antwort kam: „Kai, du redest Shit!“ Mike setzte noch eins drauf mit „Bullshit“, womit er sich wohl vor dem Publikum seine Rolle festlegen wollte. Die Reaktion war deutlich verhalten: nur einige zögerliche Lacher.
Was nun folgte, war aber gekonntes Spiel seiner Picking-Gitarre, und er sang dazu so gut, dass manch Zuhörern die Luft ausging.
Heike Morbach, die bei einigen Liedern die Zweitstimme sang und damit den Auftritt bereicherte, blieb mit ihrer schönen Stimme – ganz im Sinne Mike Brosnans – im Hintergrund. Etwas mehr Lautstärke hätte dem einen oder anderen Song gut getan. Sie durfte dann auch ein Lied alleine singen… Mike Brosnan strahlte viel Energie aus, das Publikum wurde durchaus gefordert!
Zum Abschluss bat Mike einen jungen Akkordeonspieler von der Gruppe „Schlagsaite“ zu sich auf die Bühne. Der wollte sich zunächst im Hintergrund halten, wurde aber von Mike näher zum Publikum gebeten, was, wenn auch etwas inszeniert, angenehm bescheiden wirkte. Der junge Mann variierte nur kurz mit hohen Tönen Teile von Mikes Stück und füllte es mit gekonnten Improvisationen.
Großer Beifall des Publikums belohnte die Darbietungen der drei Künstler.
Nach einer erforderlichen Umbaupause setzten die fünf Akteure der Gruppe „Schlagsaite“ das musikalische Geschehen fort. Sie sind den „Waldeckern“ bekannt durch ihre Teilnahme und Erfolge bei den Peter-Rohland-Wettbewerben seit dem Jahr 2000. „Schlagsaite“ vertont Texte von Klabund, Borchert, Kästner oder auch Ringelnatz. Aber sie sind auch bemüht und erfolgreich mit eigenen Texten.
Mit „Getan – gewonnen – nicht zerronnen, sondern erst zusammengefunden“ erweiterten sie ihr mal komisch-witziges, mal nachdenkliches Repertoire, das sich in den Genres Folk, Rock, Gypsy und Swing bewegt. Ihr seit längerem nicht mehr vorgetragener Erfolgssong „Die Totengräber der Menschlichkeit“ wurde an diesem Abend wiederbelebt.
Am Ende forderten sie das Publikum zum Mitsingen auf. „Ich habe jahrelang gebraucht um zu verstehen, dass ich ein Vollidiot bin.“, tönte es durch den sakralen Raum. Die „großen Vollidioten“ sollten möglichst laut und die „kleinen“ eher leise singen. Die Mitsänger applaudierten danach so lang, bis noch eine Zugabe fällig war.
Es war eine gelungene, abwechselungsreiche Konzertveranstaltung mit vielen Highlights. Den Organisatoren und Veranstaltern sei dafür herzlich gedankt.
Und nach dem offiziellen Schluss, weit nach Mitternacht, wurde es noch typisch „waldeckisch“: Ein kleiner Kreis saß an und auf der Bühne zusammen mit der Gruppe „Schlagsaite“, die Adina Romana zu rumänischen Liedern begleitete. Ein schöner früher Morgen.
Goly Münchrath
(aus: KÖPFCHEN 1/2011, Seite 30ff.)