Mitternachtsgesänge – Die verlorenen Lieder des Jooschen Engelke (CD)

„Mitternachtsgesänge

Die verlorenen Lieder des Jooschen Engelke (1918 – 1962)“

So hat Kai Engelke die hier besprochene CD genannt. Es sind Vertonungen von Texten seines Vaters Jooschen. „Verloren“ waren sie aber gottseidank nicht, sondern viele werden schon seit langem und bis heute in den Bünden gerne gesungen (Hier wächst kein Ahorn…).

Unter den Texten sind eigene Gedichte, aber auch Nachdichtungen aus dem Montenegrinischen. Da mir keine Originale bekannt sind, kann ich auch nicht beurteilen, ob die Nachdichtungen den ursprünglichen Texten nahe kommen. Für mich jedenfalls sind es die wichtigeren Texte, sie begleiten mich teilweise schon ein halbes Menschenleben, und ich freue mich, ihnen hier wieder zu begegnen.

Trotz der etwas unzutreffenden Etikettierung ist diese CD ein echter Gewinn.

Viele der schönsten Melodien hat tejo komponiert. Die CD ist insofern (ungewollt?) auch eine Hommage an ihn, der vor kurzem gestorben ist. Aber auch helm hat vieles vertont; dies war Kai nicht bekannt, als er die CD plante. Und so kommt es, dass einige Lieder, die längst ihre Melodie hatten, jetzt noch eine neue Melodie bekommen haben. Interessant, welche sich durchsetzen wird.

Weitere Melodien sind von Liedermachern aus Kais Freundeskreis, z.B. Black, Günter Gall, Dieter Kalka.

Gefallen hat mir vor allem das „Rosenlied“ (Nr. 3, Musik: Kai), es war tagelang ein Ohrwurm.

Aber auch andere Lieder sind durchaus „ohrwurmverdächtig“. Z.B. ist da das Lied von der „Räuberelster“ (Nr. 10, Musik: tejo). Natürlich kenne ich es seit über fünfzig Jahren, aber hier wurde mir zum ersten Male der Ablauf der erzählten Geschichte klar: die Gendarmen im Tal, die Räuber in den Bergen und die Elster, die den Räubern das Nahen der Gendarmen meldet. Worauf die fliehen und „ließen all den Raki liegen“.

Ich muss es mir versagen, zu jedem der 23 Tracks etwas zu sagen. Aber eins muss noch gesagt werden. Nr. 4 „Mein kleines Feuer…“ ist ein wahrer Edelstein. Eines der schönsten Gedichte von Jooschen

„Mein kleines Feuer, sieh, ich breche Zweige,

und lege Reis um Reis zu deiner Glut…“

vertont, gesungen und sparsam auf der Dulcimer begleitet von Günter Gall. Wer je an einem Feuer saß, kann jede Zeile dieses Liedes nachempfinden.

Natürlich kam hier der Musikgeschmack des Rezensenten ins Spiel, andere mögen anders darüber denken. Entbehrlich z.B. finde ich die Versuche, Jooschens sehr zeitbezogenen eigenen Texte „modern“ zu instrumentieren. Weder Hillbilly noch Rock scheinen mir dazu passend. Diese Art der „Aktualisierung“ hat mich nicht überzeugt.

Kai hatte die gute Idee, befreundete Musiker um einen Beitrag zu dieser CD zu bitten. So ist eine abwechslungsreiche Scheibe entstanden, die in 23 Tracks 12 Einzelinterpreten oder auch Gruppen zu Gehör bringt. Natürlich, und das gehört wohl zum Konzept, bringt diese Vielfalt nicht nur verschiedene Stile, sondern auch unterschiedliche Qualitäten mit sich. Sehr hörenswert finde ich die Interpretationen von Profis wie z.B. Black oder Günter Gall. Dagegen fallen die Stücke, die von Amateuren zu Gehör gebracht werden, deutlich ab. Zuweilen hat man den Eindruck, sie seien nicht im Studio, sondern im heimischen Wohnzimmer aufgenommen worden.

Aber das sind die Ausnahmen.

Zu loben ist auch das Booklet. Es enthält, wie es Standard sein sollte, alle Texte, nennt die Interpreten und hat zusätzlich einen einfühlsamen, erläuternden Kommentar von Kai.

Zu dem Lied über die Räuberelster hat Kai einen Kommentar gemacht, zu dem ich etwas anmerken möchte. Er bezeichnet das Lied als „Partisanenlied“. Das ist insofern richtig, als die Haiducken im osmanischen Reich sicher auch Partisanen waren. Aber im Zusammenhang mit der Jahreszahl 1944 wird so suggeriert, dass dieses Lied von den Partisanen des Zweiten Weltkrieges geschaffen wurde. Dabei ist das Lied sicher viel älter.

Und noch eine mich bedrängende Frage: Kai stellt fest, dass das Lied „Dornen und Steine“ klingen müsse „wie von zwanzig trunkenen Panduren gegrölt“. Nur zu wahr. Aber warum singt er es dann fast alleine? Waren keine zwanzig trunkene Panduren aufzutreiben?

Zu empfehlen ist diese schöne CD allen Menschen, die gerne bündisches oder bündisch inspiriertes Liedgut hören. Sie werden voll auf ihre Kosten kommen.

ali

Verschiedene: Mitternachtsgesänge. Die Verlorenen Lieder des Jooschen Engelke 1918-1962, CD, 2010, Conträr Art.Nr.: 1CDJE001-2, contraermusik.de, kaiengelke.de.

(aus: KÖPFCHEN 1/2011, Seite 33f.)