Rückblick: Jour fixe – Gerhard Gundermann

Jour fixe: Gundermann

Härter als der Rest?

Leben und Lieder Gerhard Gundermanns

Ende des Jahres (am 29. Dezember 2007) setzten sich die westdeutsche ABW und die Peter Rohland Stiftung mit Leben, Wirken und Wirkung des ostdeutschen Liedermachers Gerhard Gundermann auseinander. Im Saal des Gasthauses Am Fohlbach in Dommershausen hatte die Bedienung passend zum Thema einen „DDR-Hintergrund“. Unser Referent Dr. Lutz Kirschner von der Rosa-Luxemburg-Stiftung belegte seinen Vortrag mit Musikbeispielen und Filmportraits des Liedermachers.

Gerhard Gundermann (genannt Gundi), 1998 erst 43-jährig an einem Schlaganfall verstorben; Baggerfahrer, Liedermacher und Rockpoet, hatte 1996 im selbst gefertigten Lebenslauf sein Ende mit 2003 angesetzt. Ein Hinweis darauf, dass er alle Facetten des Lebens – einschließlich des Endes – im Blick hatte. Sein Leben war eng mit der Braunkohle-Bergbaustadt Hoyerswerda verbunden. Nach Abschluss der Schulzeit auf der EOS (Erweiterte Oberschule) mit dem Abitur folgte der Wehrdienst bei der NVA als Offiziersschüler. Er sang im Armeesingeklub; weigerte sich, ein Loblied auf den Oberbefehlshaber zu singen und wurde nach Ableistung des zweijährigen Grundwehrdienstes aus dem Studium an der Offiziershochschule mit der offiziellen Begründung ‚Mangel an Verwendungsfähigkeit‘ entlassen.

Im März 1975 fing Gundermann als Hilfsarbeiter im Braunkohlen-Tagebau bei Hoyerswerda an. Er machte die Ausbildung zum Facharbeiter (Abendschule), qualifizierte sich zum Baggerfahrer und übernahm Anfang 1978 in der neu gebildeten Jugendschicht das Gerät als Stammfahrer des Abraumbaggers. Trotz wachsender Erfolge als Musiker zog er es vor, von seiner Hände Arbeit zu leben. Die Tätigkeit als Baggerfahrer endete erst Mitte der neunziger Jahre, nachdem er zuletzt in Rückbau- und Rekultivierungsmaßnahmen beschäftigt gewesen war. Bis zu seinem frühen Tod folgte die Zeit der Arbeitslosigkeit und der Umschulung zum Tischler.

Von Anfang an setzte er sich als Baggerfahrer einen hohen Leistungsmaßstab, war Antreiber und versuchte, das Team von etwa zwanzig Personen mitzuziehen. Die Braunkohle deckte 60 % des DDR-Energiebedarfes. In strengen Wintern kam es wegen Kohlemangels zu Abschaltungen von angeschlossenen Kraftwerken. Gundermann arbeitete zwischen 1977 und 1984 als IM ‚Grigori‘ mit der Staatssicherheit zusammen, schilderte Produktionsprobleme, aber auch Dinge aus der Privatsphäre anderer. „Vielleicht lag es daran, dass ich anderen keine Privatsphäre zubilligte, weil ich selbst keine beanspruchte und so was kleinbürgerlich fand“, war sein späterer Versuch einer Erklärung. Seine Denunziation war vermutlich von dem Drang getragen, in wirtschaftliche und gesellschaftliche Prozesse optimierend eingreifen zu müssen. 1977 trat Gundermann der SED bei (so genannte Kandidatur). Der lange Arm der Partei reichte bis in die Betriebe. Gundermann trug Missstände im Tagebau dem Bezirksparteisekretär vor, was am 7. Mai 1984 seinen Parteiausschluss zur Folge hatte.

Gundermann gehörte zu denen, die in ihrem Land DDR mitwirken und etwas Eigenes beitragen wollten. Seine musikalische Entwicklung begann im Schul-(FDJ)Singeklub Hoyerswerda. Nach dem Auftritt beim Pressefest der ‚Wahrheit‘ 1977 in Westberlin entwickelt sich der Singeklub zur ‚Brigade Feuerstein‘. Jetzt wurden neben Liederprogrammen auch gesellschaftliche Probleme und Produktionsprobleme in abendfüllenden Programmen in Szene gesetzt. Die Feuersteine erhielten Preise, traten bei Festivals des politischen Liedes in der DDR auf und gastierten in Italien, Schweden und anderen Ländern. Gundermann übernahm bei den gemeinsam produzierten Programmen überwiegend die Rolle als Texter (Textauszug 1, um 1980). Oft musste er mit fünf Stunden Schlaf auskommen. Der Schichtarbeiter aus der Lausitz ging nach der Schicht zur Probe und vom Konzert direkt in den Tagebau.

Von einigen, die Gundermann zum 50. Geburtstag in einem Kolloquium der Rosa-Luxemburg-Stiftung gewürdigt haben, wird sein Charakter als melancholisch beschrieben. In seinen Liedtexten vergewisserte er sich seiner Wurzeln: in Liedern aus der Arbeitswelt, über den Vater, Freunde, Beziehungen und die Heimat. Dass außerdem das Militärische ihn immer reizte (wie er es in einem Interview ausdrückte), zeigen Liedertexte – auch noch nach dem Ende der DDR – mit entsprechenden Metaphern (Textauszug 2, 1974/77).

1987 gewann Gundermann den Hauptpreis bei den Chanson-Tagen in Frankfurt/Oder. Als direkte Folge durfte er seine erste LP bei Amiga produzieren: ‚Männer, Frauen und Maschinen‘, was ihn endgültig bekannt machte. In dieser Zeit trennten sich aber auch die Wege von Gundermann und der ‚Brigade Feuerstein‘. Im mit der Rockband ‚Silly‘ produzierten Album (Textauszug 3, Februar 1989) und in seinem Beitrag zum Kongress der Unterhaltungskunst (Berlin März 1989) spiegelte sich die Vorwende-Untergangsstimmung in der DDR wider. Gundermann schrieb acht der zehn Texte dieser LP, die als Meilenstein des Ostrock gilt. Silly-Sängerin Tamara Danz und Gundermann gehörten maßgeblich zu den Verfassern von Künstlerresolutionen der Wendezeit, später kandidierte er für die Vereinigte Linke bei der Volkskammerwahl. Seiner politischen Haltung blieb er stets treu: Er wollte einen demokratischen Sozialismus.

Nach der Wende spielte er bis 1993 zusammen mit der Gruppe ‚Die Wilderer‘. Mit der neu zusammengestellten Band ‚Seilschaft‘ bestritt Gundermann bis zu seinem Tod 1998 zahllose Konzerte und nahm mit ihnen noch drei viel beachtete Alben auf. Das Interesse im Osten hatte zugenommen, er traf den Nerv der Zeit. Für viele war er mehr als Musik: Er war Fixpunkt, Kraftquell, sich nicht anzupassen, weiterzumachen und den Traum vom besseren Miteinander nicht aus dem Kopf zu verlieren. Die Auftritte im Westen waren dagegen selten. Hier werden seine Lieder von der Tübinger ‚Randgruppencombo‘ interpretiert.

War er nun härter als der Rest bzw. „tougher than the rest“, wie Bruce Springsteen sagte? Zumindest war Gundermann immer kampfentschlossen. Er ging nicht den einfachen Weg und hat Spuren hinterlassen, die zum Weiterdenken anregen (Textauszug 4, 1997).

Josef Staubach


Textauszug 1 ‚demokratie-tango‘

das ist so eine sache mit der demokratie
sie ist ein junges mädchen noch nicht aufgeblüht
sie hat auch einen kumpel der zentralismus heißt
doch den heiratet sie nicht weil der sie immer beißt

Textauszug 2 ‚ilja muromez‘ (russische Heldengestalt)

ich bin ein alter kriegsmann grau ist mein haar und lang
ich reit auf meinem müden pferd den staubigen weg entlang
ich hör die schwerter klingen und die getroffenen schrein
und wo man meine hilfe braucht muß ich zur stelle sein

Textauszug 3 ‚sos‘

immer noch brennt bis früh um vier
in der heizerkajüte licht
immer noch haben wir den schlüssel
von der waffenkammer nicht

Textauszug 4 ‚brunhilde‘

bleib heute wach brunhilde
wir feiern noch ’n fest
die uhr geht nach brunhilde
und ich klemme die zeiger fest
und du wirst schwach brunhilde
denn ich bin härter als der rest
nicht mehr lang hin
dann schickt dein magen
den schnaps zurück
dein herz liegt blank
und aus dem kleinen huckel
wächst ein richtiger hexenbuckel
und dir fall’n die tassen aus dem schrank


(aus: KÖPFCHEN 4/2007, Seite15ff.)